Mit „One More Time“ legen Aerosmith und Yungblud eine Zusammenarbeit vor, die man so in der Rocklandschaft kaum erwartet hätte: zwei Künstlergenerationen, deren musikalische Herkunft kaum unterschiedlicher sein könnte, treffen hier aufeinander – und schaffen dennoch ein Werk, das sich bemerkenswert geschlossen anfühlt. Diese EP ist weniger ein nostalgisches Experiment als vielmehr ein Versuch, Tradition und Gegenwart auf Augenhöhe zu verbinden.
Was sofort auffällt, ist die künstlerische Balance: Aerosmith, deren jahrzehntelange Karriere Rockgeschichte geschrieben hat, klingen hier weder wie eine Band, die ihrem eigenen Erbe hinterherläuft, noch so, als wollten sie zwanghaft modern wirken. Stattdessen zeigen sie eine Reife, die man von Musiker*innen erwartet, die seit Jahrzehnten Bühnen zerlegen und Meisterwerke wie „Toys in the Attic“ oder „Rocks“ geschaffen haben. Gleichzeitig bringt Yungblud jene impulsive Dringlichkeit ein, die seine bisherigen Alben „Weird!“, „Yungblud“ und „Idols“ geprägt hat. Sein Auftreten ist lauter, emotionaler, wilder – und damit genau der richtige Gegenpol zu Aerosmiths struktureller Präzision.
Die EP beweist, wie gut diese Gegensätze harmonieren können. Anstatt zwei Stile nebeneinanderzustellen, entsteht ein gemeinsames Klangbild, das weitaus organischer wirkt als viele andere Crossover-Projekte der letzten Jahre. Gerade die Art, wie beide Frontmänner ihre Stimmen miteinander verzahnen, zeigt, dass es nicht um reines Featuren geht, sondern um echtes Zusammenspiel. Die Klangwelt ist voller Tiefe, rauer Emotion und einem Hauch Pathos – aber niemals überladen.
Im direkten Vergleich mit älteren Aerosmith-Werken fällt auf, dass „One More Time“ atmosphärischer und introspektiver klingt. Es ist weniger das protzige Hard-Rock-Spektakel früherer Jahrzehnte, sondern eher eine reflektierte, reife Form des Rock, die sich durch ihre Texturen und Arrangements definiert. Gleichzeitig wird Yungbluds Handschrift spürbar: die ungeschönte Direktheit, die jugendliche Unruhe, die Bereitschaft, Emotionen nicht zu glätten, sondern auszuleben. Wer seine bisherigen Veröffentlichungen kennt, wird hier einen gereifteren, deutlicher fokussierten Künstler erleben, der seine Energie sinnvoll kanalisiert statt unkontrolliert explodieren zu lassen.
Was die EP zudem auszeichnet, ist ihre Struktur. Obwohl sie nur wenige Tracks umfasst, wirkt sie wie ein geschlossenes Kapitel – weder zu lang noch zu kurz. Die Dynamik erinnert in Teilen an Yungbluds aktuelles Werk „Idols“, jedoch deutlich näher an klassischen Rockästhetiken, was vor allem für Fans von Aerosmiths großem melodischem Erbe attraktiv sein dürfte. Gleichzeitig spürt man, dass die Band nicht einfach vergangene Erfolgsformeln wiederholt, sondern bereit ist, sich weiterzuentwickeln – nicht aus Zwang, sondern aus künstlerischer Neugier.
Als gemeinsames Projekt überzeugt „One More Time“ durch ungefilterte Emotion, starke Handschrift und eine Mischung aus Nostalgie, Modernität und Mut. Die EP klingt weder wie ein Relikt noch wie ein Versuch, Trends zu bedienen. Vielmehr begegnen sich zwei Generationen auf einem Punkt, an dem sie sich gegenseitig verstärken, herausfordern und befruchten. Für Fans beider Acts ist dieses Werk mehr als nur ein Experiment – es ist eine künstlerische Begegnung, die überraschend stimmig ist.
„One More Time“ ist keine Sammlung von Hits, sondern ein Statement: Rock darf wachsen, altern, explodieren, scheitern – und sich trotzdem neu erfinden. Genau das passiert hier.
Fotocredit: Albumcover / Artwork