Es gibt Bands, deren Zugang einem in den Schoß fällt. Man hört die ersten Sekunden, ist sofort drin. Digital Carbs sind dabei eher das Gegenteil. Und vielleicht erfährt ihre Anfang Oktober veröffentlichte Platte „Oh Hedonism“ aus diesem Grund auch erst jetzt ihre verdiente Besprechung beim Fontstage Magazine. Wer sich seine Hörerlebnisse also gerne erarbeitet, der sollte hier jetzt weiterlesen.
„Oh Hedonism“ fordert einen erst einmal heraus – nicht mit Gefälligkeit, sondern mit einem sperrigen Instrumental-Opener, der mehr Frage als Einladung ist. Doch wer sich darauf einlässt, entdeckt mit der Zeit ein Werk, das viel über das Suchen, Zweifeln und Wollen erzählt – und das zeigt, dass diese Band zwar noch auf der Reise ist, aber in die richtige Richtung geht.
Man spürt schnell, dass Johannes Rest, der Sänger und kreative Kopf, ein Faible für große Namen hat. Radiohead mögen ein Bezugspunkt sein – nicht nur in der Stimmfarbe des Gesangs, der an Thom Yorke erinnert, sondern vielleicht auch im Anspruch dieser vier Musiker. Diese Ambition ist spürbar, auch wenn die Umsetzung (noch) nicht immer mithalten kann. Die Produktion klingt stellenweise etwas dünn, an manchen Stellen DIY-mäßig roh.
Erstaunlich ist, wie sehr man sich selbst den Hörgewohnheiten unserer Zeit angepasst hat – und einem die Fünfminüter der Band dennoch wie endlos lange Epen vorkommen. „Forest Dome“ ist ein erster Beweis dafür, ein flirrendes Stück, das aus Gitarrenschichten und Basslinien eine hypnotische Spannung zieht. Ein Keytrack, weil er all das in sich bündelt, was Digital Carbs ausmacht.
„Exploding Whale“ geht etwas direkter nach vorne – zackiger, durchzogen von subtilen Popmomenten. Es ist dieser Song, der andeutet, dass die Band auch Leichtigkeit beherrscht. Es folgt „Up and Away“, ein heimlicher Ruhepol der Platte. Bläser setzen Akzente, das Arrangement wirkt gesetzt, elegant. Hier zeigt sich die kompositorische Vielseitigkeit der Band, ein Talent das manch andere Indie-Formation der Gegenwart vermissen lässt.
Zu den stärksten Momenten des Longplayers zählt zweifellos „Head In The Clouds“, das sich mit seinen verspielten Gitarrenlinien in den Vordergrund drängt. Und dann ist da noch „Say It Like You Mean It“, vielleicht der verstohlene Blick aller Songs hinüber in die Landschaft des Pops. Hier lässt sich auch Muse als Referenz denken, sowohl in der Theatralik des Refrains als auch in der Mischung aus Pathos und Präzision. Dass dieser Song als Single gewählt wurde, war klug: Er zeigt am besten, was Digital Carbs können – und was sie vielleicht noch vorhaben.
„Oh Hedonism“ ist damit kein perfektes Album, aber eines, das sich traut, zu wachsen, während man ihm zuhört. Kleine Offenbarungen, viel Substanz und eine Menge Potential gehen hier Hand in Hand mit dem Gefühl, dass hier etwas im Entstehen ist.
Fotocredit: Lena Goth