Mit „Unself“ präsentieren Conjurer ein Werk, das sich deutlich von allem absetzt, was die britische Band bislang veröffentlicht hat. Wo auf „Mire“ (2018) noch rohe Aggression, erdrückende Dichte und das unbändige Bedürfnis dominierten, jeden Takt mit maximaler Energie zu füllen, suchten Conjurer auf „Páthos“ (2022) bereits nach neuen Formen des Ausdrucks. Das Resultat war ein ambitioniertes, technisch starkes, aber stellenweise auch überladenes Album – ein Werk, das den eigenen Anspruch fast erdrückte. Jetzt, drei Jahre später, wirkt „Unself“ wie eine bewusste Antwort auf all das.
Die Band hat sich hörbar geöffnet – emotional, kompositorisch, menschlich. Conjurer verzichten auf den ständigen Zwang zur Eskalation und schaffen stattdessen Räume, in denen ihre Musik atmen darf. Der Sound ist nach wie vor schwer, roh und tiefschichtig, aber erstmals scheint die Band keine Angst davor zu haben, Stille zuzulassen. Wo früher jede Sekunde unter Spannung stand, liegt nun eine neue Klarheit, die die Wucht der eruptiven Momente nur noch verstärkt.
Diese Entwicklung wirkt ehrlich und nachvollziehbar. Während Conjurer auf „Mire“ noch wie ein musikalisches Naturereignis klangen – ungebändigt, kompromisslos und beinahe überfordernd – ist „Unself“ das Ergebnis einer gewachsenen Selbstreflexion. Hier spielt eine Band, die verstanden hat, dass Härte nicht nur in Lautstärke, Tempo und Verzerrung liegt, sondern auch in Verletzlichkeit und Offenheit.
Besonders bemerkenswert ist, dass diese neue Sensibilität nicht in Weichzeichnung endet. Conjurer bleiben eine Metalband, die Schmerz, Frust und Wut in Klang verwandelt – aber sie tun es mit einem Bewusstsein, das man in dieser Szene selten findet. Das Album trägt eine intime, fast spirituelle Note in sich, ohne den Kern des Bandcharakters zu verlieren. Statt der kontrollierten Explosionen vergangener Veröffentlichungen dominiert hier eine organische Dynamik, die stärker auf Emotion als auf Technik setzt.
Auch klanglich ist „Unself“ das bisher rundeste Werk der Band. Der Verzicht auf übermäßige Produktion zugunsten eines natürlicheren, organischen Sounds zeigt Mut und Reife.
Im Vergleich zu früheren Alben zeigt „Unself“ eine Band, die nicht mehr beweisen muss, wie gut sie spielt – sondern warum sie überhaupt spielt. Das Ergebnis ist kein lautes Statement, sondern eine ehrliche Selbstoffenbarung. Und genau darin liegt die Stärke dieser Platte: Conjurer haben nicht nur ihr Klangbild weiterentwickelt, sondern auch ihre eigene Identität als Musiker*innen neu definiert.
„Unself“ ist kein einfaches Album – es ist ein Reifungsprozess in Klangform. Wer in „Mire“ die ungeschliffene Energie liebte und in „Páthos“ die ambitionierte Komplexität suchte, wird hier eine neue, tiefere Wahrheit finden. Es ist ein Werk, das weniger schreit, aber mehr sagt. Und vielleicht ist das die ehrlichste Form von Härte, die Conjurer je erreicht haben.
Fotocredit: Matthieu Gill