Das Cover erinnert an The Cure – schwarz-weiß, verschwommene Silhouetten, kaltes Licht, ein Hauch von Melancholie. Und genau diese Haltung zieht sich durch das gesamte Album. Dennis Kiss teilt mit Robert Smith die Gabe, Schwermut in Schönheit zu verwandeln. Vielleicht für ein paar Stunden, doch ich bin nicht diese Person ist das dokumentierte Nachtleben eines Suchenden – und Platte Nummer zwei des jungen Künstlers.
Während sein Debüt „Norddeich Mole“ (2023) noch das Gefühl von jugendlicher Unruhe und Fernweh trug, spielt das zweite Album mitten in der Stadt. Hamburg, Reeperbahn, Langstraße – Orte, die nach Leben riechen und trotzdem einsam machen. Kiss’ Blick hat sich verändert: weniger Romantik, mehr Realität. Er beobachtet, notiert, verwandelt. „Kiezpoesie“ nennt er das – und sie ist genau das: Sprache, die zwischen Zigarettenkippen und Neonlicht nach Wahrheit sucht.
Dass Kiss für seine „Musik-Karriere“ den mutigen Schritt gewagt hat, seine Band hinter sich zu lassen und solo weiterzumachen, verleiht „Vielleicht für ein paar Stunden…“ eine besondere Intensität. Es ist das Werk eines Künstlers, der bereit ist, alles auf eine Karte zu setzen. Man hört den Bruch, aber auch die Befreiung. Die Zweifel, aber auch den Trotz. Es bleibt ihm zu wünschen, dass dieser Schachzug aufgeht – und dass die Menschen begreifen, wie viel Mut in dieser leisen Konsequenz steckt.
Musikalisch bewegt sich das Album zwischen Indie-Rock, Post-Punk und Shoegaze. Produzent Hannes Wolf verleiht den Songs jenen dichten, analogen Sound, der die Kälte der Stadt hörbar macht, ohne sie zu verklären. Die ruhigen Songs verweben Melancholie mit Anmut und Schwere, die Banger schrauben sich in angenehme Höhen. Nicht zuletzt durch großartige Arrangements, die Backgroundchöre, zusätzliche Gitarren und Saxophon-Solis mit ins Boot holen.
Der zentrale Song dieses Albums heißt „Kiezmond“ – eine Art Hymne über die Reeperbahn, aber ohne jeden Glamour. Statt Romantik gibt es hier bittere Ehrlichkeit. Kiss singt: „Der Dreck liegt auf der Straße, auf den Pizzas in den Vitrinen / Ich hab’ so viele Menschen hier ihre Würde verlieren sehen.“
Kaum eine Zeile hat in den letzten Jahren den Zustand einer Stadt – und vielleicht auch den einer Generation – so präzise beschrieben. Es ist diese Beobachtungsgabe, die Kiss auszeichnet: Er schreibt nicht über Hamburg, er schreibt aus Hamburg heraus. Aus dem Inneren einer Nacht, die keine Ausrede mehr kennt. Diese Verse wirken wie ein Spiegelbild seiner eigenen Situation: ein Künstler, der sich durchs Leben schlägt, von Bühne zu Bühne, von Zweifel zu Zweifel, immer auf der Suche nach einem Ort, an dem er kurz bleiben kann – vielleicht für ein paar Stunden, vielleicht auch länger.
Auch „Bleib bei mir“ gewährt einen Blick ins Innere des Künstlers: „Die nächste Venue, die nächste Stadt / Niemals alleine, niemals nicht einsam / Ich weiß nicht, wie lange ich das noch kann / Ich bau’ mir eine Burg im Treibsand / Und Du und Du und Du und Du / Bist trotzdem noch immer hier / Ja Du und Du und Du und Du / Bleib bitte für immer bei mir / A&O und Sanifair / Für dreißig Minuten Spielzeit / Ich lieg’ am Boden und kann nicht mehr“ – schonungslos und ehrlicher hat das Künstlerdasein in jüngster Vergangenheit niemand besungen. Und das in einer Zeit, in der Authentizität oft nur Kulisse ist. Nicht so bei Dennis Kiss. Hier gibt es kein Pathos, keinen falscher Glanz. Nur ehrliche Musik, die im Dreck blüht.
Am Ende bleibt ein Album, das große Melodien und persönliche Ehrlichkeit auf selten natürliche Weise vereint. Dennis Kiss gelingt der Spagat zwischen Pop-Appeal und Verletzlichkeit. Großartig.
Album-Tour:
18.10.2025 – Zürich [CH] – Hafenkneipe
25.10.2025 – Hamburg – Molotow
06.11.2025 – Wien [AT] – Kramladen
08.11.2025 – München – Kult9
15.11.2025 – Berlin – Bar Bobu
16.11.2025 – Köln – Wohngemeinschaft
17.11.2025 – München – Pension Schmidt
22.11.2025 – Basel [CH] – Hirscheneck
Fotocredit: Sebastian Madej