Manchmal muss man erst ein Land erfinden, um irgendwo anzukommen. Daniel Stoyanov, besser bekannt als Bulgarian Cartrader, hat sich mit „Greetings from Soulgaria“ (VÖ: 10. Oktober via Uncomfortable Chair Records) genau so ein Land geschaffen – ein Ort zwischen Erinnerung, Autobahn, Nostalgie und jeder Menge Pop-Einschlag.
Stoyanov, geboren in Sofia, aufgewachsen in Deutschland, pendelt seit Jahren zwischen den Welten – kulturell, sprachlich, musikalisch. Schon auf seinem Debüt „Motor Songs“ deutete sich an, dass er sich nicht in eine Schublade pressen lässt. Der Sänger, Produzent, Multiinstrumentalist und ehemalige Background-Vokalist bei SEEED und Peter Fox mixt Soul mit Balkanblues, Pop mit Folklore, und erzählt Geschichten mit dem Charme eines Tagträumers. Schon der Titel ist ein Augenzwinkern an Bruce Springsteen und dessen Debüt „Greetings from Asbury Park, N.J.“ – und ja, Springsteen wird in der offiziellen Mitteilung tatsächlich als Referenz genannt, genauso wie Everlast, Beck, Tyler, the Creator, Mac Miller, Malcolm Todd, The Streets, Vampire Weekend oder Loyle Carner. Aber die passendere Referenz liegt näher: der Landsmann Mikhael Paskalev, der mit seinem 2013er-Album „What’s Life Without Losers“ ähnlich charmant zwischen Pop, Pathos und Balkanmelancholie balancierte.
Musikalisch spannt Stoyanov den Bogen 2025 allerdings deutlich weiter als zuvor. Zum Beispiel im Opener und Fokus-Track „Palace Gates“, ein Song der unter seiner verzückten Popmelodie einen glühenden Soul trägt, der an Lenny Kravitz erinnert. Stoyanov singt über Selbstfindung, über das Durchbrechen alter Strukturen: „I’m repainting my paradise with a pair of knives“ – ein poetisches Bild für Zerstörung als Neuanfang. Die Zeilen „Look around, I wonder what my dad would say / when he sees me break those palace gates“ verleihen dem Song Tiefe und Verletzlichkeit. Ein Track zwischen Funk und Melancholie.
Der zuvor erwähnte Lenny Kravitz taucht in den Lyrics von „Telecaster Warrior“ sogar namentlich auf – und das nicht zufällig. Stoyanov verneigt sich hier offen vor den eigenen musikalischen Vorbildern, ohne je in reine Nostalgie abzurutschen. „Lenny Kravitz, it ain’t over till it’s over“, singt er, und irgendwo zwischen dieser Zeile, einem funkigen Gitarrenriff und dem vorherrschenden Cool-Down-Vibe, entsteht ein Song, der gleichzeitig Rückblick und Neuanfang ist.
Doch „Greetings from Soulgaria“ ist kein bloßes Retroalbum. Stoyanov erzählt in seinen Songs von Gegenwart und Überforderung, von Selbstzweifeln und kleinen Fluchten. In „20 Thousand Miles“ klingt er wie ein müder Held, der auf der Rückbank eines alten Opel Rekord eingeschlafen ist – zerschlagen, aber immer noch romantisch. „Watermelon Runaway“ dagegen spielt mit jugendlicher Leichtigkeit, mit der Erinnerung an einen Sommer, der vielleicht nie wirklich so war, wie man ihn in Erinnerung hat.
Mit „Birds“ gelingen ihm dann jene stillen, beobachtenden Momente, die seine Stärke ausmachen. Ein Mann, der Tauben hält, eine beiläufige Szene, die sich plötzlich in ein ganzes Leben übersetzt. Es sind diese kleinen Alltagsbeobachtungen, die Stoyanov groß wirken lässt – irgendwo zwischen Damon Albarn und Bruce Springsteen, zwischen Lächeln und Wehmut.
Und dann ist da noch „Toothpicks“, die vielleicht charmanteste Form des Scheiterns, die Popmusik 2025 zu bieten hat. Was bei anderen ein banaler Alltagsmoment wäre – keine Zahnstocher im Haus – wird hier zur Miniatur über Selbstsabotage und Unzulänglichkeit. Begleitet von einer Ukulele, ein bisschen Funk und einem ironischen „Uh shit“, verwandelt Stoyanov die eigene Tollpatschigkeit in Lebensnähe.
Im Vergleich zum Debüt „Motor Songs“ klingt „Soulgaria“ handgemachter, wärmer, bewusster. Alles ist selbst produziert, selbst eingespielt, und doch nie überfrachtet. Und auch wenn die Pop-Momente mehr wirken, es bleibt immer noch jede Menge Platz für Persönlichkeit.
Fotocredit: Zlatimir Arakliev