Fast ein Jahrzehnt nach „Treehouse“ (eines meiner Top 20 Alben) kehren I See Stars mit ihrem sechsten Studioalbum „THE WHEEL“ zurück – und schon beim ersten Hören wird deutlich, dass diese lange Pause mehr war als nur eine unfreiwillige Unterbrechung. Das Album ist ein Destillat aus sieben Jahren Erfahrung, Stillstand, Krankheit, Verlust und schließlich der Neugeburt einer Band, die sich nicht scheut, ihr Innerstes offenzulegen.
Im Vergleich zu früheren Werken wie „3D“ (2009) oder „The End of the World Party“ (2011) fällt sofort auf, wie sehr I See Stars gereift sind. Die jugendliche Unbeschwertheit und das augenzwinkernde Chaos der frühen Jahre sind einer fokussierten Ernsthaftigkeit gewichen, die schon auf „Treehouse“ angedeutet war. Doch während das 2016er-Album noch stark vom Überraschungsmoment lebte, dass eine Electronicore-Band plötzlich hymnische Weite und elektronische Klangtiefen vereinen kann, wirkt „THE WHEEL“ wie das ausgereifte Gegenstück: weniger naiv, dafür umso ehrlicher.
Ehrlicherweise muss man sagen, dass nicht jedes Kapitel in der Diskografie von I See Stars gleichermaßen überzeugt hat. „Digital Renegade“ (2012) war ein wichtiges Bindeglied, aber auch ein Album, das sich zu sehr an der damaligen Szeneästhetik festhielt. „Treehouse“ hingegen war zweifellos ein Karrierehöhepunkt, doch die Band wirkte danach lange orientierungslos. Genau hier setzt „THE WHEEL“ an: Statt einfach an alte Erfolge anzuknüpfen, reflektieren die Musiker ihre eigene Geschichte, ihre Brüche und ihre körperlichen wie seelischen Kämpfe – und verwandeln all das in eine Platte, die mehr kann, als nur Trends zu bedienen.
„THE WHEEL“ ist düster, verletzlich, aber gleichzeitig voller Energie. Es atmet Schwere und Hoffnung zugleich und schafft es, die Dualität von Schmerz und Euphorie in eine konsistente musikalische Sprache zu übersetzen. Es ist vielleicht das erwachsenste Werk in der bisherigen Diskografie – nicht so ungestüm wie die frühen Alben, nicht so experimentierfreudig wie „Treehouse“, aber in seiner Ehrlichkeit und Konsequenz das wohl persönlichste und nachhaltigste Statement der Band.
Fazit: Mit „THE WHEEL“ legen I See Stars ein Album vor, das nicht nur den jahrelangen Erwartungen gerecht wird, sondern sie übertrifft. Ein Werk, das aus Stillstand Stärke gemacht hat, und das zeigt, dass elektronische Härte und emotionale Verletzlichkeit keine Gegensätze sein müssen. Für Fans der Band wie auch für alle, die Electronicore im Jahr 2025 ernst nehmen wollen, ist diese Platte ein Pflichttermin.
Fotocredit: Adina Scharfenberg @Rock im Park 2025