Laura Lee war eine Hälfte des Berliner Indie-Rock-Duos Gurr, mit dem sie 2017 schlagartig internationale Aufmerksamkeit bekam. Mit ihrer neuen Band The Jettes führt sie diese Geschichte nun weiter – kompromisslos, eigenständig und noch mutiger. Das zweite Album Tough Love Paradigm beginnt mit Kinderstimmen, ist jedoch alles andere als brav.
Ein Fixpunkt findet sich direkt mit Track Nummer zwei. „Tough Love Paradigm“, ist zugleich Titelstück und auffälligster Popsong der Platte. Eingängig und hymnisch trägt er eine fast radiotaugliche Hook vor sich her, die aber immer mit einer rauen Kante versehen bleibt. Man spürt den Willen, ein größeres Publikum erreichen zu können – ohne dafür Kompromisse einzugehen. Dann „Unsolicited Advice“: ein Song, der mit seinem Sprechgesang und Beat Erinnerungen an The Streets und frühe UK-Sounds weckt. Plötzlich klingt Berlin nach London, nach urbaner Direktheit, ohne die Indie-Grundierung aufzugeben. Es ist ein Moment, in dem die Platte noch einmal eine ganz andere Farbe bekommt.
Überhaupt bewegt sich „Tough Love Paradigm“ in einem spannenden Spannungsfeld: zwischen Indie-Pop, 90s-Grunge und Riot-Grrrl-Attitüde. Es gibt rohe, noisige Momente, aber auch diese Hooks, die hängenbleiben. Songs wie „Vandalize“ schlagen ruhigere, fast melancholische Töne an und erinnern mit ihren Gitarrenfiguren (gewollt?) an Interpol.
„Der Song ist einer der ruhigeren Songs auf dem Album. Ich war ja früher riesiger Interpol Fan, ich denke das hört man hier. Ich glaube man muss aufpassen, in Streits nicht zu sehr um sich zu hauen und im Affekt Dinge zu sagen, die man später bereut.“
Laura Lee
Mit „Zu viel“ gibt es erstmals auch einen deutschsprachigen Track, der ohne Umwege trifft. Und trotz des Sprachwechsels fügt sich die Nummer ganz hervorragend in den Fluss der Platte ein, welche mit zehn Tracks erfrischend kompakt wirkt. Die Nummern kommen direkt auf den Punkt und wie immer ist es ein gutes Zeichen, wenn man sich nach einem kompletten Hördurchgang wundert, wie schnell eine halbe Stunde vergehen kann.
Produziert hat Laura Lee selbst, und man hört, dass hier niemand auf Hochglanz geachtet hat. Die Instrumente dürfen atmen, stolpern, aufeinanderprallen. Collin Dupuis (u.a. Lana Del Rey, Angel Olsen) hat den Mix übernommen und dem Ganzen einen detailreichen, internationalen Klang verpasst, ohne die DIY-Seele zu glätten.
Ohne Frage, „Tough Love Paradigm“ gehört zu den Überraschungsplatten der zweiten Jahreshälfte. Nicht zuletzt durch ihre vielen Gegensätze, die sie geradezu zelebriert: verspielt und ernst, hymnisch und roh, poppig und schroff. Laura Lee & The Jettes zeigen, dass sie sich nicht auf eine Formel festlegen lassen. Und wer nach Gurr dachte, die Geschichte sei zu Ende erzählt, wird eines Besseren belehrt: Sie hat gerade erst angefangen.
LAURA LEE & THE JETTES – Live 2025
06.09. Hamburg, Aalfest
07.09. Berlin, LARK (nachmittag)
07.09. Berlin, LARK (abend)
17.-20.09. Hamburg, Reeperbahn Festival
Fotocredit: Kelsey Ayres