Sich selbst zu akzeptieren, gehört zu den anspruchsvollsten, herausforderndsten und tiefgreifendsten Prozessen, die man im Leben durchlaufen kann. Die eigenen Facetten – die Stärken und Schwächen, Erfolge wie Niederlagen, Lehren und Fehler – in einem klaren, unverzerrten Licht zu betrachten und diese Erkenntnis als Antrieb für etwas Größeres zu nutzen, erfordert enorme Arbeit. Doch sobald die Puzzleteile ineinandergreifen, fragt man sich unweigerlich, warum man diesen Schritt nicht schon viel früher gewagt hat.
James Veck-Gilodi beschäftigt sich mit dieser Frage fast so lange, wie es Deaf Havana gibt. Erst jetzt, mit der Entstehung ihres beeindruckenden siebten Albums „We’re Never Getting Out“ (VÖ: 3. Oktober), scheint das Ganze einen Sinn zu ergeben. Die Erkenntnis: Er hat Jahre zwischen Extremen verbracht, ohne in einem von beiden wirklich Zufriedenheit oder Glück zu finden. Rückblickend wirkt jeder Schritt der Band – von Top-10-Alben über ausverkaufte Tourneen, von Zusammenbrüchen bis zu immer neuen Neuanfängen – eher wie ein Versuch, andere zu befriedigen, als sich selbst. Ein permanenter Kampf mit Erwartungen, die sowohl in seiner Brust als auch auf dem Plattenteller brodelten – und irgendwann eskalieren mussten.
„Ich wollte mich schon immer verändern“, erklärt er. „Aber ich habe meine Fehler nie wirklich akzeptiert, sondern mich stattdessen bestraft. Ich habe mir eingeredet, mich selbst zu hassen, und bin letztlich in die Rolle eines völlig anderen Menschen geschlüpft. Am Ende musste ich nur lernen, das Beste aus allem, was ich bisher gemacht habe, mitzunehmen – ohne mich dabei komplett neu zu erfinden. Vielleicht liegt es am Alter oder an meiner Einstellung, aber heute akzeptiere ich mich so, wie ich bin, und weiß, wie ich ein guter Mensch sein kann.“
Über die neue Single „Carousel“ sagt James: „Immer wieder dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten, ist die Definition von Wahnsinn. Genau so habe ich mich in den letzten zehn Jahren gefühlt. Außer Kontrolle, verrückt, gefangen in einer Endlosschleife, die mich immer wieder an denselben Punkt zurückwarf. Inmitten meiner Sucht und meiner früheren Beziehung gab es für mich einfach keinen Ausweg. Ich habe dieselben Fehler und Entscheidungen ständig wiederholt – und landete jedes Mal dort, wo ich angefangen hatte, wenn nicht noch tiefer. Carousel handelt im Kern davon, so außer Kontrolle und im Abwärtsstrudel gefangen zu sein, dass alles hoffnungslos wirkt – verpackt in einen kompromisslosen Rocksong.“
Bis zum Sommer 2023 fühlte sich James, als würde er erneut in eine Endlosschleife geraten. Doch anstatt diesen Kreislauf weiterzutragen, entschied er sich für radikale Schritte: Er legte bereits begonnenes Material beiseite, das ihn emotional nicht berührte, und zog im Jahr darauf die Konsequenz, eine unglückliche Ehe zu beenden. Diese mutigen Entscheidungen eröffneten einen neuen Blick auf das Wesentliche: auf Musik als Freude, nicht als Last, und auf das eigene Leben als Weg, den er selbst bestimmen kann.
Aus dieser Haltung entstand „We’re Never Getting Out“: ein Album, das die ganze Schwere und Zerrissenheit der letzten Jahre in sich trägt und sie zugleich in neue Energie verwandelt. Trotz seiner funkelnden Oberfläche schimmert eine tiefe Traurigkeit durch, die den Songs ihre Wucht und Ehrlichkeit verleiht. Unterstützt von Produzent George Glew und renommierten Gastmusikern fand James die Freiheit, die kreative Last zu teilen und neue Wege zu beschreiten. Das Ergebnis ist ein Sound, der Deaf Havana frischer, mutiger und facettenreicher erscheinen lässt als je zuvor – zwischen ungeschönter britischer Rock-Direktheit und moderner Pop-Sensibilität.
„We’re Never Getting Out“ ist damit mehr als nur ein weiteres Kapitel in der Bandgeschichte: Es ist ein Neuanfang, getragen von Klarheit, Aufbruchsstimmung und dem Bewusstsein, dass Vergangenheit und Narben zwar bleiben – doch gerade daraus eine unvergleichliche Kraft erwächst.
Deaf Havana stehen für Interviews zur Verfügung. Das Album „We’re Never Getting Out“ erscheint am 3.10. und kann bemustert werden.
Live:
23.01. Köln – Luxor
24.01. Hamburg – Headcrash
25.01. Berlin – Lido
27.01. München – Strom
28.01. Wiesbaden – Schlachthof
Fotocredit: Singlecover