10 Jahre, über 60.000 Menschen pro Tag und ein Festivalgelände, das zwischen Olympiastadion und Mayfield förmlich gebebt hat – das Lollapalooza Berlin presented by Telekom feierte sein großes Jubiläum. Ins Leben gerufen wurde das Lollapalooza im Jahr 1991 von seinem Gründer Perry Farrell als Touringfestival und ist auch nach über 30 Jahren noch immer ein Vorreiter der internationalen Festivalkultur. In 2015 wurde das Lollapalooza Berlin presented by Telekom, als erste europäische Ausgabe etabliert und findet seit einigen Jahren auf dem Gelände des Olympiaparks in Berlin statt. Zu dem zweitägigen Festival gehören traditionellerweise ein Genremix aus Pop, Rock, EDM, Rap und Indie ebenso wie zahlreiche interaktive Bereiche rund um die Themen Lifestyle, Fashion und Nachhaltigkeit sowie einem eigenen Programm für Kinder. Die diesjährige Ausgabe sollte dies alles zur Perfektion bringen und für sehr viel Euphorie sorgen.
Wie immer beim Lollapalooza war musikalisch für alle etwas dabei. Über die Genregrenzen hinweg traten zahlreiche Künstlerinnen und Künstler am zweiten Juli-Wochenende in Berlin auf – und ohne etwas vorweg nehmen zu wollen, sie waren allesamt phänomenal. Bei keinem Act, den wir gesehen haben, kam das Gefühl auf, dass sie ihre Sache nicht bestmöglich gemacht oder dass es nicht den Ansprüchen vom Publikum genügt hätte. Somit konnte das hochkarätige, überwiegend internationale Line-Up den Qualitätsansprüchen gerecht werden und auf ganzer Linie überzeugen. Jetzt hatte man nur noch die Qual der Wahl, welche Genrerichtung man bevorzugt. Für die perfekte Mischung und den besten Überblick haben wir von allem ein bisschen mitgenommen.
Der größte Fokus in diesem Jahr dürfte auf der Sparte Pop gelegen haben. Die Herren Benjamin Ingrosso und Mark Amber begannen das Pop-Feuerwerk. Beide mit strahlendem Lächeln und angenehmen Stimmen gesegnet, bezwangen sie das immer wieder regnerische Wetter und die grauen Wolken. Wenn die beiden gesungen haben, ging in vielen Fanherzen die Sonne auf. Noch mehr vielleicht als der ehemalige ESC-Teilnehmer Benjamin die Nähe zum Publikum suchte oder energetisch an seinem Klavier agierte. Lacher kassierte er als er „99 Luftballons“ im schönsten schwedischen Dialekt anstimmte („99 Lustballons“), in der festen Überzeugung, dass dies DER Hit in Deutschland wäre. Da hatte er sich wohl ein bisschen im Zielpublikum geirrt, aber es mit viel Sympathie und Charme hingenommen. Später am ersten Tag begeisterte Gracie Abrams die Massen. Die amerikanische Singer-Songwriterin brachte eine umgreifende Emotionalität auf die Bühne. Mit ihren gefühlvollen Vocals traf sie direkt ins Herz, ohne dabei übertrieben pathetisch zu wirken. Stattdessen sorgte sie für vergleichsweise stille und intime Momente zum Fühlen mitten im Trubel des Festivals.
Rockiger wurde es hingegen mit Mother Mother, The Last Dinner Party und Almost Monday – drei Acts, die eindrucksvoll unter Beweis stellten, wie viel Energie, Kreativität und Bühnenpräsenz in der Indie-Rock-Welt steckt. Die kanadische Band Mother Mother überzeugte mit ihrem typischen, leicht verschrobenen Art-Rock-Sound, bei dem nichtsdestotrotz jede Harmonie auf den Punkt abgeliefert wurde. Getragen wurde die Show neben dem charismatischen Frontmann vor allem von den beiden Frauen Molly Guldemond und Jasmin Parkin, die in ihren neonfarbenen Kleidern farblich vor der Bühne herausstachen. Visuell aufregend gestaltete sich ebenfalls die dramatisch-exzentrische Bühnenshow von The Last Dinner Party. Die Britinnen sorgten mit barocken Outfits, theatralischen Gestiken und einem Sound, der sich irgendwo zwischen Florence Welch und David Bowie befand für ein faszinierendes Spektakel. Anders als die vorher genannten rockten Almost Monday die Alternative Stage statt der zweiten Hauptbühne. Sie eröffneten am Sonntag die Bühne mit ihrem leichten, kalifornischen Feel-Good-Vibes, die das Publikum unweigerlich zum Tanzen brachten.
Die elektronische Musik sorgte für Ekstase. Headliner Armin van Buuren dominierte am Samstagabend sein Set mit Trance-Klassikern und euphorischen Build-Ups, die das Olympiagelände für einen Moment wie einen gigantischen Club erscheinen ließen. Passend dazu gab es immer wieder Feuerwerksequenzen, um das Geschehen in der Arena zu unterstreichen. Erstaunlich war zudem, dass der Niederländer keine drei Stunden nach dem Closing der Perry Stage ganz rockstarlike ebenso den Auftrag hatte in Neustadt-Glewe auf der gleichzeitig stattfindenden Airbeat One aufzulegen. Mit Genregrenzen zu spielen war ein Anliegen von Ashnikko oder Sofi Tukker. Während Ashnikko aggressive Electro-Beats, Riot-Girl-Attitüde und Visuals wie aus einem Anime-Fiebertraum brachte, punktete Sofi Tukker mit jeder Menge Spaß, Rave und Rhythmus; eben alles, was man für einen großen, kollektiven Tanzmoment im Olympiastadion benötigte. Durch Feuereffekte wurde es heiß auf und vor der Bühne, da das Duo eine der wenigen Sonnenstunden des Festivals am Sonntagnachmittag ergatterte. Wenn die Sonne raus kam, musste man schnellstens das Regencape durch Sonnenschutz ersetzen, um sich dem schweißbadenden Treiben hinzugeben. Sofi verlor sich mit dem Publikum im Tanzen des geteilten Momentes und schenkte uns die einzigartige Lolla Magie.

So vielfältig wie das Line-Up waren auch die Bereiche rund um die Musik strukturiert. Denn das Lollapalooza Berlin wäre nicht Lolla, wenn es nur um Musik ginge. Das Fashionpalooza präsentierte sich wieder als Spielplatz für Ausdruck und Identität, unter anderem mit einem farbenfrohen Drag Runway von Miss Mosh und Valery Jay. Kreativ-Workshops, Upcycling und der seit zehn Jahren etablierte Grüne Kiez mit Fokus auf Nachhaltigkeit, Müllvermeidung und rein vegetarischer Verpflegung rundeten das ganzheitliche Konzept gelungen ab, sodass es auch abseits der Bühnen jede Menge zu entdecken gab. Auch die kleinen Festivalgäste kamen auf ihre Kosten: Bei Kidzapalooza durfte alles gemacht werden, was das Kinderherz begehrt. Es wurde nicht nur gesungen, getanzt und sich kreativ verwirklich, sondern es gab ebenfalls Zaubershows sowie eine Kinder-Version der Show der Berliner Puppetmastaz. Damit wurde Groß und Klein die Nachmittage wie im Flug bereitet, sodass man sich am Abend auf die großen Namen freuen konnte.
Zudem fiel das konsequente Sicherheit- und Awarenesskonzept positiv auf. Gut wahrnehmbar, in lila Westen gehüllt, fanden sich auf dem gesamten Gelände Menschen, die auf Sicherheit und Inklusion bedacht waren und dies selbst ausstrahlten. Dazu gab es auf jeder Bühne eine für die Sicherheit verantwortliche Person, die die Besuchenden über Sicherheitslagen aufklärte. Neben den bekannten Geboten, gab es vor dem Highlight Justin Timerberlake am Ende des ersten Festivaltages eine kuriose Aufforderung. Man solle doch bitte die romantische Zeit mit seiner Beziehungsperson auf nach dem Konzert verschieben und nicht währenddessen übertriebene Zärtlichkeiten austauschen. Die Geschichte, die diese Ansage erforderlich gemacht hat, hätte uns brennend interessiert. In den nächsten anderthalb Stunden, war das einzige, was jedoch brennendes Interesse auf sich zog der Pop-Titan himself. Während es den ganzen Samstag über immer wieder vereinzelt regnete, setzte pünktlich zur Stage Time des amerikanischen Superstars der kontinuierliche Landregen ein. Der erste Song „Mirrors“ machte direkt klar, warum es sich um das absolute Highlight des Tages handeln sollte. In fast schon musicalhafter Manier fanden sich zahlreiche Personen, von ausgedehnter Band, Tanz und Backgroundgesang, auf der Bühne ein, die routiniert eingespielt ein Timing auf den Punkt genau ablieferten. Damit waren alle binnen innerhalb Minuten mitgerissen von einer Show, die von dieser routinierten Perfektion geprägt war. Der Coolnessfaktor wurde durch die Regenjacke zwar etwas gemindert, aber dennoch konnte man die Augen nicht von der Bühne lassen. Das massive Gesamtwerk aus Gesang und Choreografie sorgte für ein herausragendes Finale.
Der zweite Tag wurde von einem einzigen Namen dominiert: j-hope. Wer dazu eine kurze Nachhilfestunde benötigt, der 31-jährige Südkoreaner erlangte mit seiner Boyband BTS vor der Corona-Pandemie weitläufige Bekanntheit, auch jenseits der K-Pop-Subkultur. Seine Solo-Karriere startete mit seinem ersten Album 2022 vollends durch, bevor er im darauffolgenden Jahr den südkoreanischen Wehrdienst leisten musste. Davon zurück gab es in Berlin die einzigartige Möglichkeit ihn live solo zu sehen, bevor im nächsten Jahr die BTS Zusammenkunft geplant ist. Damit ist aller Anlass gegeben vollkommen auszuflippen und in der Nacht von Samstag auf Sonntag das Camp vor den Türen des Olympiastadions aufzustellen für die begehrten Plätze im ersten Wellenbrecher. Auf der Telekom Mainstage und rund herum gab es ausschließlich das Thema j-hope. Zwar war er erst für den ultimativen Schlussakkord des Festivals verantwortlich, doch es führte an ihm und der A.R.M.Y. kein Weg dran vorbei. Wollte man an diesem Tag etwa nostalgieträchtig zu Juli feiern, war man mit seiner Textsicherheit in den ersten Wellenbrechern eher alleine, da die überragende Mehrheit ausschließlich für den Südkoreaner wartete. Schade für die Fans der Bands, die vorher noch spielen mussten, denn dadurch war es sehr schwer eine reale Stimmung zu kreieren. Natürlich hat die j-hope Anhängerschaft höflich applaudiert, aber man merkte, dass es nicht die Acts waren, wofür sie dort waren.
Einer schaffte es jedoch den Umstand zu überstrahlen, dass das Lollapalooza längst in Hobipalooza umbenannt wurde und das war kein Geringerer als Benson Boone, der direkt vor dem K-Pop-Star an der Reihe war. Wer dachte, man kennt schon jede Art der Festivalperformance, wurde hier eines Besseren belehrt. Rückwärtssalto vom Klavier? Check. Tempowechsel zwischen Ballade und geballter Energie? Check. Freddie Mercury-Style Interaktionen mit dem Publikum? Auch das. Benson Boone spielte sich mit seinen authentischen Hits wie „Mystical Magical“ direkt in die Herzen der Anwesenden. Dabei blieb er die ganze Zeit über ausgesprochen glaubwürdig, kraftvoll und präsent. Als er zum Abschluss von „Beautiful Things“ zum Publikum ging, spürte man einmal mehr die Verbundenheit zu seinen Fans und das jede Person ihre ganz eigenen Emotionen mit den Songs verband. Für uns war es der beeindruckendste Auftritt des gesamten Wochenendes, weil er es geschafft hat genauso viel Leidenschaft auf die Bühne zu bringen und diese damit komplett auszufüllen, wie der Erfolg seiner weltweiten Radiohits vermuten ließen. Wer die Chance hat ihn live zu erleben, sollte sich dieses Spektakel nicht entgehen lassen! j-hope hat das Festival am Sonntagabend viel umjubelt abgeschlossen.
Was vom Lollapalooza bleibt war das zehnte ereignisreiche Wochenende in Berlin. Das Festival fand erstmals im Juli statt, der das Publikum nicht wie im September gewohnt mit sommerlichen Temperaturen verwöhnte, sondern überwiegend regnerisch daherkam. Zudem brachte der festivalstarke Monat Juli auch immer mehr Überschneidungen mit sich als es im September der Fall war. Den Wunsch eines Closingtermins im September wird uns allerdings auch nächstes Jahr nicht gewährt, da man sich am 18. und 19. Juli 2026 in Berlin wieder trifft. Worauf man sich allerdings wieder freuen kann ist ein ausgesprochen vielfältiges Festival, welches Maßstäbe in punkto Organisation, Nachhaltigkeit sowie Sicherheit und Awareness setzt. Damit wird verlässlich ein Safe Space mit Wohlfühlatmosphäre bereitet, der dazu einlädt qualitativ hochwertige Performances von internationalen Artists zu genießen. Dies ist alles mitgemeint, wenn man vom Lollapalooza Berlin spricht und alle, die schon einmal dort waren, wissen, was es heißt als Festival nicht nur groß zu wachsen, sondern auch qualitativ. Damit manifestierte sich das Lolla ein weiteres Mal als Ziel vieler Fesitvalreisenden.

Fotocredit: Sabrina Derda