Endlich war es wieder soweit: Vom 20. bis 22. Juni 2025 verwandelte sich der legendäre Eichenring bei Scheeßel zur wilden Festivalschaubühne. Das Hurricane Festival jährt sich zum 28. Mal in Form eines dreitägigen Spektakels mit über 80.000 erwarteten Besuchenden, die das sonst beschauliche Dorf in Norddeutschland unsicher. Dieses Wochenende stehen neben nationalen und internationalen Artists aus den Bereichen Rock, Pop und Electro phänomenale Wetteraussichten ins Haus. In unserer Live-Review könnt ihr lesen, wie der furiose Auftakt des Festivals ausfiel.
15 Uhr am Freitag, das konnte nur eines bedeuten: Das Hurricane Festival in Scheeßel wurde standesgemäß vom #hurricaneswimteam eröffnet. Seit ihrer Gründung 2016 gehört die Band um Mit-Veranstalter Stephan Thanscheidt zum Inventar und spielen jedes Mal auf, dieses Mal im einheitlichen Hurricane-Trikot. Die legendäre Gründungsstory verhalf den Jungs gleichzeitig zu ihrem größten Hit „Am sichersten seid ihr im Auto„, welcher dieses Jahr einen gelungenen Einstieg zum Hurricane Festival garantierte. Anders als 2016 sahen die Wetteraussichten für das gesamte Wochenende allerdings blendend aus, mit Sonne satt und sommerlichen Temperaturen. Die Kennerschaft weiß, dass dies in Scheeßel Staub ohne Ende bedeutet. Es ist als ob dieses wunderschöne Fleckchen Erde insgesamt nur zwei Zustände kennt: Staub oder Matsch. In diesem Fall wird sich also brav noch einmal eingecremt und der Hut aufgesetzt, bevor es in die Vollen ging.
Den Anfang auf der River Stage machte Newcomerin Paris Paloma. Wenngleich ihr den Namen vielleicht noch nie bewusst gehört habt, werdet ihr auf jeden Fall die einprägsamen Zeilen „All day, every day, therapist, mother, maid, nymph, then a virgin, nurse, then a servant“ dank Instagram und TikTok kennen. Wenngleich ihr bekannter Hit wahrscheinlich zunächst der Hauptgrund für den frühen Besuch des Festivalsgelände gewesen sein dürfte, überzeugte die britische Singer/Songwriterin mit ihrer halbstündigen Performance. Ihre Stimme klang kraftvoll und brachte ihre Emotionen stark herüber. Ein Grund mehr sich einmal ihr im letzten Jahr erschienenes Debütalbum „Cacophony“ anzuhören und sich positiv überraschen zu lassen, dass es sich bei „Labour“ nicht um ein One-Hit-Wonder handeln muss. Paris Paloma sollte man definitiv für souveräne Live-Auftritte auf dem Radar haben.
Mit den Worten „Ist das vielleicht das schönste Festivalpublikum Deutschlands?“ begrüßte Olli Schulz in der Folge seine Gäste. Er verkündete, dass es beim selbstgenannten älteren Indie-Rocker keine Wall Of Death geben wird und dass ihn am Älterwerden eigentlich nur stört, dass es nur noch so wenige Plattenläden gibt. Die eingefleischten Fans starteten immer wieder „Olli, Olli“-Rufe zwischen den Songs und strahlten insgesamt jede Menge „Energy“ aus, an welcher man bereits ableiten kann, dass es ein phänomenales Festival-Wochenende werden wird. Um sich davon hautnah zu überzeugen, stürzte sich der 51-jährige samt Kameramann ins Geschehen und schmiss im Rausch seine Kopfbedeckung weg. Mit einer neuen geliehenen Cap ging es mit der Utopie weiter, dass in jeder Stadt ein riesiger Lautsprecher stehen sollte, der jeden Morgen „What A Wonderful World“ spielt. Mit einer leidenschaftlichen Rede erinnerte d—r Sänger an die fundamentalen Werte von Musik, Frieden und Liebe, Zitat „Die Musik ist immer wichtiger als alles andere drumherum“.
Mit diesem Mindset im Kopf feierte der Freitag auf vier Bühnen die Musik. Auf der rockig angelegten Red Stage gaben sich als nächstes Hot Water Music die Ehre und zelebrierten lupenreinen Post-Hardcore, der Lust auf mehr machte. Besonders hervorzuheben ist dabei, dass die Band es trotz härteren Passagen verstand eine gewisse Emotionalität beizuhalten und diese authentisch zum Publikum zu transportieren. Mit mehr als 30 Jahren Bühnenerfahrung ist dies aber auch kein Wunder. Die Band erfüllte genau das, was von Routiniers erwartet wurden und zog die Menschen in ihren Bann. Für die Anhängerschaft der Mountain Stage war es noch einmal eine Spur bedeutsamer, dass die US-Amerikaner überzeugen konnten, denn leider fiel der folgende Slot ihrer Landsleute Motionless in White aufgrund von Krankheit kurzfristig aus. Mit den Leoniden aus Kiel wurde zwar spontaner Ersatz gefunden, der von der breiten Masse positiv aufgenommen wurde, aber natürlich nicht für Metalcore stehen konnte. Immerhin konnte man sich mit Biffy Clyro noch etwas ablenken, welche ohne Kompromisse Vollgas gegeben haben und ebenfalls einen amtlichen Auftritt mit ihrer unverwechselbaren Stimmung auf und vor der Bühne nach Scheeßel gebracht haben.

Unmissverständlicher Rock stand ebenfalls mit Headliner Rise Against an, welche ihre anderthalb Stunden im wahrsten Sinne des Wortes heiß starteten. Feuereffekte begrüßten das Publikum. Zur Freude vieler fokussierte sich das Quartett auf die älteren Alben bis 2011. Lediglich zwei Tracks datierten danach, waren dafür aber brandaktuell. Mit „I Want It All“ und „Nod“ spielen Rise Against zwei neue Songs, die es vorher noch nie bei ihren Auftritten beim Hurricane Festival zu hören gab und Vorboten des neuen Albums „Ricochet“ sind, welches für August diesen Jahres geplant ist. Das Publikum erfreute es sichtlich und die aufgeladene Energie wurde explosionsartig freigesetzt. Besonders im ersten Wellenbrecher gab es kein Halten mehr und alle waren ausnahmslos in Bewegung. Zum Durchatmen gab es eine ruhigere Phase mit „Swing Life Away“ and „Hero of War„. Diese wurde jedoch genauso gefeiert wie zuvor „Prayer of the Refugee“ oder das folgende „Satellite„. Das Publikum war on fire, der Sound laut und klar und die Band on Point, was will man sich für einen gelungenen Headliner-Slot noch wünschen? Von Endorphinen geflutet verließen die Fans die River Stage, entweder in Richtung Annenmaykantereit zum musikalischen Ausgleich oder um noch einen nächtlichen Snack zu suchen.
Den ersten Abend abzuschließen oblag den nationalen Größen Annenmaykantereit und Alligatoah. Bei ersteren ging es gewohnt locker grooving durchs Konzert. Immer wieder sorgten Instrumentals für entspannte Tanzbewegungen im Publikum, die sich fließend wie Wellen fanden und wieder verloren. Gute Laune stand hier im Fokus und wurde von allen Beteiligten gelebt. Vor allem sorgte die erste Zugabe von Henning May, der passenderweise „Barfuß am Klavier“ spielte und damit Ausrufe der Begeisterung auslöste. Auf allen Gesichtern lag ein beseeltes Lächeln als das Publikum geschlossen den ganzen Text lautstark mitsang. Weniger friedlich ging es bei Alligatoah zu. Der stellte künstlerisch fortgeschritten mittels Video Call seine Reise zurück vom Mond direkt in ein Büro dar – exzellentes Storytelling vom Lyrik-Profi höchstpersönlich. Allerdings landete er nicht im Büro, um zu Arbeiten, sondern dies unter der härteren Fasson seiner aktuellen Musik kurz und klein zu schlagen. Geschuldet sei dieser Umschwung seinem neuen Gesangslehrer sagt er augenzwinkernd. Wenn es so ist, dann kann man sich nur bedanken, denn das neue Gewand steht Alligatoah wunderbar und ist auf einem Rockfestival genau richtig angesiedelt mit diesem hammermäßigen Einstieg. Doch auch die Fans, die ihn schon länger während der letzten rund 20 Jahre verfolgt haben, kamen in den nächsten 2/3 des Konzerts auf ihre Kosten.
Damit ging ein genialer erster Tag zu Ende. Wofür man das Hurricane Festival wirklich loben kann, ist eine herausragende Soundqualität, die sich konsequent über alle Outdoorbühnen zieht. Besonders die Bässe fühlen sich schön satt an und machen wirklich Freude. Bei einem solchen hervorragenden Setting ist es noch einmal leichter das Festival maximal zu genießen. Damit schürt der Auftakt große Vorfreude auf das restliche Wochenende und hat schon einmal richtig Bock gebracht.

Fotocredits: Jan Sebastian Tegelkamp