Man kann sich nur schwer vorstellen, dass jemand, der mit Ennio Morricone-Soundtracks und spiritueller Literatur aufgewachsen ist, ein belangloses Pop-Album abliefert. Und genau das passiert bei Adam Lytle auch nicht. „Altars” klingt bedeutsam wie sein Name – ist vielleiht nur einen Hauch zu esoterisch.
Schon der Opener Savage „Thunder” lässt keinen Zweifel daran, dass hier mit gängigen Songwriting-Konventionen gebrochen werden soll. Es beginnt mit einem brüchigen Fingerpicking, wie aus einem Folk-Gebetsbuch. Dann geht es über zu flirrendem Desert-Rock und wächst dann irgendwie in den Psychedlica Bereich. Klingt anstrengend und fordert – aber keine Angst, denn die darauffolgende Single „Lead On Desire” setzt da gleich einen Kontrapunkt: aufgeräumter, fokussierter, – aber ohne die Tiefe zu verlieren, die Lytles Songs auch dann noch tragen, wenn sie scheinbar leichtfüßig daherkommen.
In „Sister Wave”, einem der Highlights der Platte, kulminiert Lytles Faible für biblisch-mystische Symbolik und seine Lust an musikalischer Vielgestaltigkeit: Leonard Cohen schaut vorbei, hinter ihm schimmert eine dunkle Fleetwood-Mac-Aura, irgendwo in der Ferne dröhnt ein Western-Sonnenuntergang. Würde man modernere Referenzen suchen, müsste man wohl Cari Cari oder Still Corners nennen. Lytle hat über das Tibetische Totenbuch gelesen, und so ist diese hymnische Welle tatsächlich keine Trauerhymne, sondern ein „Lied des Wissens“, wie er selbst sagt. Wer wissen will, wie sich eine spirituelle Erleuchtung im 4/4-Takt anfühlt, sollte hier reinhören.
Und doch ist „Altars” kein esoterischer Eskapismus. Lytle hat das Gespür für die politischen und gesellschaftlichen Risse unserer Zeit. „Sanctuary” ist das vielleicht eindrucksvollste Beispiel dafür: Die Geschichte einer armenischen Flüchtlingsfamilie, die 96 Tage in einer Kirche Schutz vor der Abschiebung suchte, wird hier zur hymnischen Metapher auf ein zutiefst humanes Moment in einer entgleisenden Welt. Selten war musikalisches Storytelling so aufgeladen und gleichzeitig so leise. Die schlichte Gitarre, der reduzierte Gesang – das alles wirkt nicht ausgedacht, sondern gelebt.
Produziert wurde das Ganze – wie so oft bei Lytle – von Jonathan Schenke, einem langjährigen Vertrauten, der sich darauf versteht, Klangräume aufzuspannen, ohne sie zu überladen. Auch wenn „Altars” in Brooklyn entstand, atmet es die Weite der Mojave. Was „Altars” so besonders macht, ist nicht allein die Musik – es ist die Haltung dahinter. Lytle nimmt sich Zeit, Tiefe und Düsternis nicht zu scheuen. Seine Songs sind Spiegelkabinette zwischen Realität und Mythos, zwischen Weltpolitik und innerem Exil. Seine Sprache – geschult an Bibel, Blues und griechischer Poesie – ist bildgewaltig, aber nie bombastisch. Es geht nicht ums Predigen, sondern ums Fragen. Und vielleicht ist genau das in einer Zeit der allgegenwärtigen Meinung die letzte Form wahrer Relevanz.
Review von Marc Erbrügger
Fotocredit: Meg Molli