Mit „I Just Want To Be A Sound“ schlagen Kadavar ein neues Kapitel in ihrer Bandgeschichte auf. Produziert von Max Rieger (Die Nerven) und geprägt von radikaler Präsenz, tiefer Verletzlichkeit und spiritueller Transformation, ist ihr siebtes Studioalbum ein Manifest des Loslassens – ein Soundtrack für das ewige Jetzt. Im Interview sprechen wir mit Sänger Lupus über die Narben der Vergangenheit, ihre Liebe zur Musikstadt Berlin und den Mut, sich immer wieder neu zu erfinden.
Frontstage Magazine:„Scar on My Guitar“ wirkt wie ein sehr persönlicher Song – voller Emotion, Schmerz und Hingabe. Wie wichtig ist euch diese Nähe und Verletzlichkeit in eurer Musik geworden?
Lupus: Verletzlichkeit und Schmerz sind Teil unseres Lebens und finden deshalb immer wieder Platz in unseren Songs. Auf dieser Platte jedoch sicher mehr als auf unseren vorherigen. Die Texte sind diesmal sehr persönlich und autobiografisch.
Frontstage Magazine Euer neues Album heißt I Just Want To Be A Sound. Was bedeutet dieser Satz für euch – philosophisch, musikalisch, vielleicht sogar spirituell?
Lupus: Angefangen hat alles mit einem einfachen Zitat unseres Bassisten auf die Frage, warum er kein Social Media nutzt. Das ist über zehn Jahre her. Er hat kein Interesse daran, zu viel von sich preiszugeben oder sich als Werbefläche zu verstehen. Er möchte im Hier und Jetzt sein – wenn du ihn triffst, kannst du mit ihm reden und eine gute Zeit haben. Danach verfliegt es wie Sound, und er ist verschwunden. Ich denke, wir alle kennen das Gefühl der Überforderung und den Wunsch, manchmal einfach zu verschwinden – nicht sichtbar oder greifbar zu sein. So ist der Titel geblieben, obwohl er ursprünglich nur ein Arbeitstitel war. Er beschreibt die Platte ziemlich gut, bei der es uns nicht darum ging, einem bestimmten Genre gerecht zu werden, sondern eine Stimmung zu erzeugen, die jeder Song braucht, um die Lyrics zu tragen.
Frontstage Magazine: Mit Max Rieger habt ihr einen Produzenten an Bord geholt, der für seine eigenwillige Klangästhetik bekannt ist. Wie hat seine Handschrift euren Sound beeinflusst oder erweitert?
Lupus: Er war über ein halbes Jahr mit uns im Studio, und wir haben ihn als gleichwertiges Mitglied betrachtet. Er hat seine Ideen eingebracht und uns dabei geholfen, Songs fertigzustellen. Gleichzeitig hat er sich nie aufgedrängt. Es war eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, bei der wir versucht haben, uns nicht einzuschränken und viel auszuprobieren.
Frontstage Magazine: Ihr sprecht von Transformation, radikaler Präsenz und dem „Eternal Now“. Wie habt ihr diesen Wandel konkret im Studio umgesetzt – gab es neue Arbeitsweisen, Instrumente oder Experimente?
Lupus: Es gab keine Limits und keine Einschränkungen – alles war möglich. Wenn etwas gut klang und wir das Gefühl hatten, es ist das Richtige, kam es auf die Platte. Wir haben vieles ausprobiert: zahlreiche Effekte auf unseren Instrumenten oder bei den Vocals. Es hat schon eine Weile gedauert, bis wir ein klares Bild vor Augen hatten. Viele der Versuche verliefen ins Leere – aber das ist wohl normal, wenn man seine Komfortzone verlässt und neue Wege geht.
Frontstage Magazine: Lupus, du hast erzählt, wie deine Gitarre zur Metapher eurer Reise wurde. Gibt es andere Geschichten oder Symboliken auf dem Album, die euch besonders am Herzen liegen?
Lupus: Das angesprochene Zitat für unseren Albumtitel natürlich – ein weiteres lautet: „Let me be a Shadow“, das anfangs eine ähnliche Thematik aufgreift. Die Gitarren-Geschichte ist jedoch ein sehr spezifisches Beispiel, da ich darin unser exzessives Touren vor zehn Jahren beschreibe – eine Zeit, in der wir nie eine Pause gemacht und immer und überall gespielt haben. Es war eine intensive Phase, die uns allen zugesetzt hat, nicht nur der Gitarre.
Frontstage Magazine: Die exklusive Release-Show im Urban Spree war sofort ausverkauft. Wie fühlt es sich an, diesen neuen Abschnitt der Bandgeschichte so intensiv mit den Fans zu feiern?
Lupus: Es freut uns, die Songs endlich auch live spielen zu können. Wir haben noch nie so lange an einer Platte gearbeitet – und dann noch einmal acht Monate warten müssen, bis sie endlich veröffentlicht wurde. Jetzt können wir sehen, ob die Songs so funktionieren, wie wir es uns vorgestellt haben. Das ist daher sehr aufregend für uns. Schon früher haben wir Release-Konzerte oder -Partys veranstaltet. Wenn man so viel arbeitet, darf man das Feiern nicht vergessen.
Frontstage Magazine: Eure Musik war schon immer kraftvoll – jetzt scheint sie noch emotionaler, noch mutiger geworden zu sein. Woher nehmt ihr diese Energie, diesen Mut zur Veränderung?
Lupus: Wir haben keine Lust, uns einzuschränken oder zu wiederholen. Für uns ist der Entstehungsprozess eines Albums immer auch eine Reise – und die ist nicht immer einfach. Aber Grenzen einzureißen und die eigene Komfortzone zu verlassen, macht eben auch Spaß. Nach mittlerweile 15 Jahren Bandgeschichte hat man vielleicht auch die nötige Reife, ein bisschen mehr von sich preiszugeben oder sich an andere Themen heranzuwagen.
Frontstage Magazine: Das Album ist auch eine Hommage an Berlin, eure Heimat. Wie hat die Stadt euren neuen Sound geprägt – und was bedeutet Berlin heute für Kadavar?
Lupus: Zuerst einmal: Es ist unsere Heimat geworden. Tiger und ich leben jetzt seit 20 Jahren hier – das ist die Hälfte unseres Lebens. Der Blick auf die Stadt hat sich seit Corona definitiv noch einmal verändert. Wir haben mehr Zeit hier verbracht und waren weniger auf Tour. Einige von uns haben Familien gegründet, und dadurch verändert sich die Perspektive natürlich ebenfalls. Außerdem ist die Stadt ständig im Wandel – es gibt immer wieder neue Seiten und Orte, die als Inspiration dienen können.
Fotocredit: Joe Dilworth
Interview: Sebastian Wittag