Manchmal hilft nur die Flucht nach vorne. Mit dem Song „Nummer 1“ hat CHALET BELGIQUE die Beschreibung eines schlechten Charakters auf den Punkt gebracht. Mit einer guten Portion Humor, Synthie-Flächen und einer minimalistisch-coolen Basslinie taucht CHALET BELGIQUE auf der Bildfläche auf und meldet sich zu Wort. Lässig, diese „Nummer 1“, und gleichzeitig der titelgebende Song der im Herbst folgenden EP.
Ein bisschen Nostalgie schwingt mit, wenn man die Songs von CHALET BELGIQUE hört. Zeitlos, eingängig und doch frisch ist der Sound. Zart erinnert er an Synthie Pop, jedoch wäre diese Kategorie zu eindimensional, wenn man bedenkt, dass alle Instrumente organisch eingespielt wurden. Echte Drums, Synthies, Bass und sparsame Gitarren. Darin verwoben eine warme Stimme, die einen an die Hand nimmt und auffängt, wenn man gerade zweifelt. „Es wird schon wieder gut / Du wirst sehen, ich komm zurück“ singt die Belgierin Cindy Hennes und man möchte ihr glauben.
Hennes formt Zeile um Zeile, als wenn sich eine Geschichte ihren Weg bahnt. Mit einem eindrücklichen Gespür für Sprache und starke Bilder reflektiert sie Erlebtes. Manchmal auch mit einer Portion Humor. „Du bist wie ein Krokodil / Mit dem Revolver auf der Jagd / Willst immer das was die Andere hat / Ich hab dich irgendwie satt“. Um dem Kern dessen, was erzählt werden soll, näher zu kommen, wählt Hennes ihre Worte mit Bedacht und einer gewissen Klarheit. Dennoch verleiht sie den Texten eine poetische Tiefenschärfe. „All die Gefälle / Berge und Täler / Durchdringen den Nebel / Und kommen immer näher / Wir kaufen ein Haus / Zerstören das Dach / Es regnet in Strömen / Und wir liegen wach“.
In einem Moment des Umbruchs trifft sie auf Sonja Glass, deren Namen wir durch die Band BOY kennen. Auf der Suche danach, die Freude am Musikmachen wieder zu finden, ergibt sich eine Zusammenarbeit, bei der es anfänglich nur ums Machen ging, ohne ein Ziel vor Augen. Vielleicht auch deshalb ist eine EP entstanden, die jedweden Erwartungen trotzt, die keiner musikalischen Aktualität hinterher eifert und sich erlaubt, das zu sein, was sie ist: zeitlos, warm, transparent.
CHALET BELGIQUE hat Songs geschrieben, in denen Sehnsucht und Hoffnung einen Platz finden, genauso wie Erinnerungen und Schmerz. „Ich geh in mir unter / Und tauch / Bis auf den Grund“. „Es gab eine Phase in meinem Leben, in der ich nicht gesprochen habe. Ich hatte nichts mehr zu sagen, die Welt war mir zu laut. Drei Monate habe ich mich komplett in mein Inneres zurückgezogen“ erzählt Hennes. Ein unsichtbarer Faden verbindet Text und Musik. Die Durchlässigkeit in der Musik, die in den Kompositionen von Sonja Glass zu finden ist, bietet eine gute Balance zwischen Tiefe und Leichtigkeit, Melancholie und Hoffnung. „Mir ist wichtig, dass die Musik, die ich schreibe, eine gewisse Nahbarkeit hat und eine Zuflucht bietet. Gerade in der heutigen Zeit finde ich das äußerst wichtig.“
Während Cindy Hennes sich künstlerisch auf verschiedenen Gebieten wie Malerei, Musik und Videoarbeiten betätigt, hat Sonja Glass sich seit einigen Jahren hinter die Kulissen zurückgezogen, wo sie hauptsächlich als Komponistin agiert, als Bassistin arbeitet, oder, wie im Falle von CHALET BELGIQUE, neben dem Komponieren auch die Rolle der Produzentin übernimmt. „Wir sind uns gegenseitig eine musikalische Partnerin, ohne den gewohnten Weg einer Band zu gehen. Wir schreiben zusammen, finden gemeinsame Schnittmengen und lassen uns so viel Freiheit wie möglich. Wo uns die Reise hinführt, sehen wir dann“. Beide leben in Hamburg.
In einer Zeit, in der der ständige Druck, sich öffentlich zu präsentieren, allgegenwärtig erscheint, strebt CHALET BELGIQUE danach, mit ihrer Musik fernab der üblichen Erwartungen zu existieren. „Wir lieben das, was wir tun, doch es geht nicht um uns, es geht ausschließlich um die Musik, die wir erschaffen“. Visuell eingehüllt wird CHALET BELGIQUE von dem spanischen Künstler Julen Itzueta. In enger Zusammenarbeit ist ein einzigartiges Artwork entstanden, welches dem Projekt eine weitere Dimension hinzufügt. Seine Handschrift setzt sich bis in die Videoarbeiten fort.
Die EP ist also nicht nur eine musikalische Einladung, sondern birgt auch die Idee, sich „künstlerisch frei zu bewegen, Dinge auszuprobieren und daran Spaß zu haben“. Manchmal hilft nur die Flucht nach vorne. Mit dem Song „Nummer 1“ hat CHALET BELGIQUE die Beschreibung eines schlechten Charakters auf den Punkt gebracht. Mit einer guten Portion Humor, Synthie-Flächen und einer minimalistisch-coolen Basslinie taucht CHALET BELGIQUE auf der Bildfläche auf und meldet sich zu Wort. Lässig, diese „Nummer 1„, und gleichzeitig der titelgebende Song der im Herbst folgenden EP.
Fotocredit: Toni Seoane