Der zweite Tag des Hurricane Festivals 2024 begann mit einer ungebrochenen Euphorie, die von der Nacht zuvor noch in der Luft lag. Die Festivalbesuchenden strömten erneut zahlreich auf das Gelände. Von 11 Uhr morgens bis in die Nacht bot das Line-up eine bunte Mischung aus Genres und Kunstschaffenden, die die Festivalbühnen mit Energie und Leidenschaft füllten. Der Samstag versprach, die Erwartungen hochzuhalten und die magische Atmosphäre, die das Hurricane Festival so besonders macht, weiter zu entfachen.
Der zweite Tag startete bis auf einige Ausnahmen weitgehend elanvoll, hatte man am Vorabend doch noch Gelegenheit gehabt mit Stella Bossi raven zu gehen. Für alle, die also frisch, munter und alle ihre Sachen beisammen hatten, konnte es morgens schon um 11 Uhr zur Lesung von Sebastian „El Hotzo“ Hotz losgehen. Da der letzte Teil für uns leider nicht zutraf, trafen wir erst um kurz nach zwei auf dem Gelände ein. Dafür kamen wir aber genau rechtzeitig, um zu bezeugen, wie auf der Mountain Stage schon vor Team Scheiße mit zwei Laola Stimmung gemacht wurde. Das Publikum ist Feuer und Flamme und verlangte direkt nach einer Zugabe, noch bevor die Gitarristin als erste die Bühne betrat. In Anlehnung an das Realität gewordene TikTok stimmte sie: „Team Scheiße ist doch kein Verbrechen“ an. In den nachfolgenden 45 Minuten bewiesen sie, dass sie mit ihrer Ansage Recht behalten sollten. In bester Punkrock Manier spielten sie ihre Songs durchschnittlich unter drei Minuten durch, wobei das Lied über das Insekt natürlich nicht fehlen durfte.
Danach übernahm Alice Merton mit ihrer Band auf der River Stage. Die Musikerin brillierte mit ihrer einzigartigen Pop-Manier, die von ihrer charakteristischen Stimme geprägt ist. Dabei ließ sie bekannte Songs wie „Vertigo“ nicht aus. Des Weiteren erzählte sie, dass sie noch nie bei Sonnenschein auf dem Hurricane gespielt hätte. Als hätte sie der Wettergott persönlich sie gehört, durchbrach die Sonne beim vorletzten Track „No Roots“ die Wolkendecke. Damit bot sich die perfekte Gelegenheit, um das begummistiefelte Tanzbein über den Acker zu schwingen. Durch die Sonne besserte sich die Gehwegsituation, während nur einige, wenige Stellen kritisch blieben und gemieden wurden.
Im Anschluss stand ein echter Nostalgie-Kracher ins Haus. Simple Plan waren im Begriff die Forest Stage zu rocken. Die Kanadier hatten sich ein straffes Programm vorgenommen und feuerten die ersten Tracks, die auf Anfang des Jahrtausends zurückschauten, ab. Satte sieben Songs, inklusive hervorragender Stimmung wie etwa Arme wedeln zu „Shut Up!„, gab es auf die Ohren bevor mit „Iconic“ ein Track des zuletzt veröffentlichten Album „Harder Than It Looks“ gespielt wurde. Dazu gab es eine herzerwärmende Ansage von Frontmann Pierre Bouvier, dass man allen, die Träumenden sagen, dass sie wahnsinnig seien, mit dem Statement „I am gong be iconic“ den Mittelfinger zu zeigen. Nach dem einzigen Track vom „neuen“ Album, wurde wieder auf die Klassiker gesetzt, schließlich ist „I’m Just a Kid“ vor 22 Jahren rausgekommen. Dadurch, dass immer noch so viele da sind, um der Band zuzuhören, bewies eindeutig, dass es niemals nur eine Phase war. Dazu passend wurde der Slogan auf Bouviers Tank-Top geupdated, auf dem „a kid“ durchgestrichen war und durch „an adult“ ersetzt wurde. Dass der Schlagzeuger am Ende noch crowdsurfte rundete den energiegeladenen und überaus sympathischen Auftritt ab.
Das ganz große Gefühl durfte natürlich auch nicht zu kurz kommen. Dafür war in der Folge der britische Singer/Songwritger Tom Odell zuständig. Der Sänger und Pianist zeigte, dass er mehr als nur seinen viral gegangenen Hit „Another Love“ zu bieten hatte. Eine Stunde lang überzeugte Tom Odell sein Publikum und man hatte Gelegenheit sich zur einnehmenden Stimme des 33-jährigen wegzuträumen. Wobei die Stimme seiner weiblichen Gäste seiner in absolut nichts nachstanden. Während seiner Solo-Songs bündelte er, begleitet von seinem Keyboard, gesanglich all die schönen Emotionen. Atmosphärisch sorgte er für Zeit zum gemeinsamen Kuscheln und langsamen Engtanz. Solche emotionsgeladenen Momente wünscht man sich bei jedem Festival.
Das krasse Gegenteil davon schloss sich mit The Hives an. Das Quintett aus Schweden ist der absolute Inbegriff einer Band, die live absolut immer funktioniert. Es gibt wirklich nahezu eine Garantie, dass man eine gute Zeit mit der Band haben wird. Dieses Wissen erzeugt eine äußerst ekstatische Stimmung und Mitmachgarantie a lá Simon says. Sagte Howlin’ Pelle Almqvist beispielsweise „hebt die Arme“, gab es nichts zu zögern und es wurden ausnahmslos alle Arme gehoben. Zudem versuchte sich der charmante Schwede in deutsch, welches wir an dieser Stelle unverändert wiedergeben möchten: „Vielen Dank mein Schatze, deine Hände auf die Luft! Dieser Song ist viel Spaß und alt„. Dem gab es absolut nichts hinzuzufügen und die Bühne wurde zum Beben gebracht. Nebenbei crowdsurfte der Gitarrist ganz beiläufig, während er weiterhin spielte. Das bedeutete, dass die Security Menschen vorne im Graben kurzerhand zu Kabeltragenden umfunktioniert wurden, um die Instrumente der wilden Band am laufen zu halten. Alles Dinge, die nur bei einer The Hives Liveshow passieren, und der Band immer einen Platz im Zuschauendenherz reservieren.
Der Abend stand vollkommen im Zeichen der beiden Headliner Avril Lavigne und K.I.Z., konnte man sich schließlich über Exklusivität freuen, denn es waren die einzigen Deutschlandshows. Übrigens spielte Ed Sheeran gestern ebenfalls eine exklusive Festivalshow. Doch zurück zu der Kanadierin, zu der gefühlt allesamt ihre Teenagerzeit verlebten. Die Aufregung und Vorfreude vor Avril Lavigne war geradezu greifbar. Eine Zuschauerin neben uns fasste es perfekt zusammen: „Vielleicht falle ich auch in Ohnmacht, wenn ich sie sehe!“. Daraufhin antwortete ihr Begleiter mit Blick auf den matschigen Boden „Lieber nicht“. Die Freude war umfassend, da ebenfalls mehrere Schilder mit Liebesbekundungen oder direkt Heiratsanträgen in die Luft gehalten wurden.
Was kann die Sängerin dieser erwartenden Freude entgegensetzen? Die Antwort beläuft sich leider hauptsächlich auf eine schöne Illusion. Startete sie zwar mit einer feinen Auswahl an Songs, unter anderem „Girlfriend„, und erschien stilecht im Lack-Poppunk-Outfit, konnte der echte Funke zunächst aber nicht auf voller Linie überspringen. Erst nach einem Video-Interlude, was man ebenfalls gerne auf den seitlich platzierten LED-Wänden hätte zeigen dürfen, wirkte sie entspannter, sicherer und eher im Set angekommen, was sich kontinuierlich verbesserte. Ein echtes Energie-Hoch konnte man beim Simple-Plan-Cover „Addicted“ verzeichnen als Lavigne von Pierre Bouvier, der vorher am Tag bereits eine gelungene Show ablieferte, tatkräftig unterstützt wurde. Positiv anzumerken ist, dass sie auch alleine den gesamten Bühnenplatz ausnutzen konnte und regelmäßig die Flügelseiten bespielte. Außerdem darf man nicht vergessen, dass, wie bei einigen Bands an diesem Wochenende, eine gehörige Portion Nostalgie mitschwang. Avril Lavigne live zu erleben, dürfte für viele die Erfüllung eines Jugendtraumes gewesen sein, und das war es alle mal wert!
Potenzierte man nun den Energiefaktor hoch tausend landete man circa bei den Werten des nachfolgenden Hip-Hop-Trios K.I.Z.. Die Jungs schienen noch einmal motivierter als sowieso schon, präsentierten sie ihr erst einen Tag zuvor erschienenes Album „Görlitzer Park„. Dafür gab es sechs Tracks von neuen Album, die 30 % der Playlist ausmachten, zu hören. Das dürfte direkt vor der Bühne aber niemanden so richtig interessiert haben, denn K.I.Z. hatten genauso sehr Bock die Bühne abzureißen wie ihr Publikum. Bei Songs wie „Unterfickt und geistig behindert“ wurde Party gemacht – Trommelfellmassage durch Bass inklusive. Natürlich kam auch hier immer wieder das Snippet „Pyrotechnik ist doch kein Verbrechen“ zum Einsatz, was an dieser Stelle allerdings viel weniger fehlplatziert als zuvor bei Avril Lavigne wirkte. Eine Performance im Publikum und das Begleiten eines Chors aus Influenzenden machte einen Auftritt, von dem Fans wohl noch lange schwärmen werden, mehr als perfekt.
Damit macht der zweite Tag dort weiter, wo der Freitag aufhörte. Für uns ging es während Brutalismus 3000, ein junges Techno-Duo aus Berlin, bei dem der Name mehr als Programm ist, nach Hause. Daher sind wir an der roten Bühne vorbeigelaufen ohne sie zu sehen und hörten die folgende Situation, die wir euch nicht vorenthalten wollten: Techno Geballer ohne Gnade. Plötzliche Pause. Victoria Vassiliki Daldas fragte irritiert ohne Kontext: „Hat jemand ’ne Frage?“ Unverständliches Genuschel auf beiden Seiten. Techno Geballer ohne Gnade. Eine befreundete Redakteurin hätte gerne erfragt, wer ihr weh getan hat, um die Energie für ihre intensive Musik zu finden. So oder so, schloss es unseren Abend amüsant ab.
Fotocredits: Kevin Randy Emmers & Jan Sebastian Tegelkamp