Der zweite Tag des Rock am Ring Festivals 2024 stand im Zeichen energetischer Auftritte und kraftvoller Performances. Nach einem gelungenen Auftakt am ersten Tag, setzten die Bands am Samstag das hohe Energielevel nahtlos fort und begeisterten die Festivalbesuchenden mit einer Mischung aus Rock, Punk und einer Prise Hip-Hop. Einen weiteren Tag erstrahlte die Sonne über dem Nürburgring und bot perfekte Bedingungen für einen Samstag voller musikalischer Höhepunkte und mitreißender Momente.
Die Eröffnung der Bühnen am Samstagmittag lag fest in Frauenhand: The Last Internationale und Against The Current gaben sich die Ehre. Letztere dürften vor allem Videospielfans bekannt sein, da sie mit ihrem zugleich bekanntesten Song „Legends Never Die“ den Titelsong zu einer League-of-Legends-Weltmeisterschaft beisteuerten. Davon abgesehen zeichnete sich vor allem Frontfrau Chrissy Costanza durch eine irre Stimmgewalt und Energie aus. Was die Frau auf der Bühne veranstaltete war sagenhaft, da sie von Energie getrieben die gesamte Bühne bespielte. Im Rahmen dessen lag sie zeitweise am Ende des kleinen Stegs und sang mit dem Publikum im Wechsel. Es war ganz offensichtlich, dass die Band alles gab, um die Utopia Stage gebührend zu eröffnen.
Diese Energie übernahmen im Folgenden P!nkshift ebenso sehr. Die Band aus Boston ist laut, wütend und bis zum Anschlag mit Energie gefüllt. Trotz anfänglicher, technischer Probleme starten sie voll durch und bewiesen mit jeder Sekunde, dass wir nicht nur alte, weiße Männer auf den Festivalbühnen dieses Landes sehen müssen. Vor der Bühne veranstaltete die kleine Crowd einen ordentlichen, wilden Tanzkreis und nahmen die Energie von der Bühne ohne Verluste auf. Vor allem Schlagzeuger Myron Houngbedji machte neben Frontfrau Ashrita Kumar auf sich aufmerksam, indem er die Performance der Band und geballte Energie immer wieder nach vorne trieb. Genau so stellt man sich die volle Ladung Punk vor. Wenn einem übrigens bei der zeitgleich spielenden Band Dogstar der Gitarrist merkwürdig bekannt vorkam lag es daran, dass es sich tatsächlich um Hollywood-Star Keanu Reeves handelte.

Energie schien für heute das geflügelte Wort zu werden, denn mit dem folgenden Act sollte noch einmal ein echtes Highlight in puncto Dynamik folgen. Electric Callboy waren bereit die Mainstage zu zerlegen. Auch das Publikum schien wild erschlossen sich bei diesem Plan zu beteiligen und gab alles, was es hatte. Es wurden Tanzkreise eröffnet, gerudert, gesprungen und unvergessliche Erinnerungen kreiert. Kevin und Nico machten es den Zuschauenden mehr als leicht genau in diese Stimmung zu kommen. Für ihren Feature-Song „RATATATA“ erhielten sie dabei zudem tatkräftige Unterstützung von Babymetal. Gemeinsam ließen sie den gesamten Ring klatschen und hüpfen als gäbe es kein Morgen mehr. Doch Electric Callboy wären nicht Electric Callboy, wenn sie nicht mit den nächsten zwei Songs vollkommen andere Genres anschneiden würden. Am Konzertflügel in Penisform wurde „Let It Go“ und „I Want It That Way“ geträllert, bevor ein bisschen Schlager mit Death Fox zu „Hurrikan“ Einzug erhielt. Nico fasst es ideal zusammen: „Ich bin so froh, dass ich so nass geschwitzt bin, dass ihr meine Tränen nicht sehen könnt“. Dem haben wir nichts hinzuzufügen, außer, dass die Messlatte weit nach oben gehängt wurde.
Im Anschluss übernahmen Billy Talent die Hauptbühne und präsentierten sich gewohnt hochkarätig. Die Band aus Kanada live zu sehen ist immer wie einen alten Freund oder eine langjährige Freundin wieder zu treffen: man weiß genau, was man erwarten kann, aber es fühlt sich immer vertraut an. Genau dieses Gefühl transportierten Klassiker wie „Devil On My Shoulder“ zur lila-rot untergehenden Sonne im Panorama der Eifel. Frontmann Ben war sichtlich gut gelaunt und steckte die Menge mit seinem Enthusiasmus an. Besonders rührend war seine Geste gegenüber einem Mädchen, welches auf den Schultern ihres Vaters ihren achten Geburtstag feierte, was sie mittels selbst gebastelten Schild mitteilte. Ben ließ ihr einen Drumstick zukommen, was das Publikum begeistert quittierte. Das ist die Liebe des Rocks, die am Ring so groß geschrieben wird.

Apropos Liebe am Rock, am Samstagnachmittag konnten sich sowohl Polizei als auch Rettungskräfte über eine positive Zwischenbilanz freuen. Für alle beteiligten Einsatzkräfte war es bisher ein ruhigeres Festivalgeschehen als die letzten Jahre. Ideal also um zu den Headliner-Slots noch einmal gebührend zu feiern. Auf der einen Seite gingen Green Day mit sagenhaften Zahlen ins Rennen. Dieses Jahr feierten die Punk-Rock-Legenden nichts Geringeres als das 30-jährige Jubiläum des Erfolgsalbums „Dookie“ sowie zwei Jahrzehnte „American Idiot„, was sich natürlich in der Setlist widerspiegelte. Songs, die ganze Generationen prägten und verbanden, wurden gemeinschaftlich zelebriert. Auf der Mandora Stage machte sich kurze Zeit später Marsimoto bereit, der kurzfristig als Ersatz für den krankheitsbedingten Ausfall von Bad Omens aufspielte.
Womit wir bei dem sowieso immer heiß diskutierten Line-Up wären. Grundsätzlich hat man die Stimmen, die immer wieder moniert haben, dass es zu wenig Rock und zu viel Hip-Hop am Ring und im Park sein, gehört. Das diesjährige Line-Up setzte ganz klar auf das Rock- und alle dazugehörigen Genres. Lediglich mit der unnachwürdigen Nachnominierung von Marsimoto hat man nicht nur neue Freundschaften geschlossen. Möglicherweise wäre es konsequenter gewesen den Slot, wie das österreichische Nova Rock Festival ganz zu streichen. Grunde dafür oder dagegen hätte es ebenfalls zahlreiche gegeben. Aber wie man es am Ende macht, man würde es falsch machen. Immerhin hat Materia die Chance genutzt und eine elanvolle Show abgefackelt.
Mit dem Late-Night Spezial der Broilers ging der zweite, energiereiche und stimmungsvolle Tag am Nürburgring zu Ende.
Fotocredits: Kevin Randy Emmers