Drei Minuten vor 20 Uhr. Auf den Gängen der Lanxessarena laufen noch viele Fans umher, kommen gerade an. Scheinbar unzählige sind schon da und selbst in den obersten Rängen tummeln sich Menschen auf den Plätzen und bieten ein beinahe ehrfürchtiges Bild. Marius Müller-Westernhagen hat auf seiner „75Live“ Tour auch in der Kölner Lanxessarena halt gemacht.
Ein bunt gemischtes Publikum wartet gebannt auf den Konzertbeginn des gebürtigen Düsseldorfers. Nach sechs Jahren Pause, auf denen sich der 75jährige eine Auszeit von Live-Auftritten genommen hat, ist er nun endlich wieder zurück. Ungeduld macht sich breit, als die blau-rot beleuchteten Vorhänge noch immer in Wellen vor der Bühne herab hängen. Mit schönen, klassischen Oldies, die jeder mitsummen kann, werden die Fans von den Boxen beschallt – und brechen in Jubel aus, sobald die Musik verklungen ist, in der Hoffnung, dass das Warten ein Ende hat. Dann, endlich geht das Licht aus und der Applaus bricht los. Doch die Vorhänge fallen nicht. Sie gleiten sachte nach oben und präsentieren Marius Müller-Westernhagen in feierlichem weißen Anzug, der mit „Alphatier“ vom gleichnamigen Album in den Konzertabend startet. „Ich will raus hier“ folgt nahtlos. Der Song von seinem 23. Album „Das eine Leben“ ist eines der eher wenigen neuen Lieder, die sich im Laufe des Abends in die Setliste einreihen werden. Mit Akustikgitarre in der Hand präsentiert sich der 75-jährige Sänger bei allerbester Stimme. „No Exit.“ „This way“.
Die Leinwand präsentiert eine Mauer mit reichlich passenden und ständig wechselnden Bildern und Gravity’s. „Danke“. Das muss als Worte an die Fans zunächst ausreichen. Statt viel zu reden, beschränkt sich Westernhagen zunächst auf das, was er am besten kann – Musik machen. „Fertig“. Dabei hat er mit seiner Band doch gerade erst begonnen. Die Fans stehen. Sitzplätze werden überbewertet. Seine Band, das sind 10 hervorragende Musiker, die vom ersten Song an das Konzert zu einem Erlebnis machen. „Und ihr steht alle. Wahnsinn!“ „Marius, fordere die Leute bitte nicht auf, aufzustehen. Aber ich freue mich natürlich!“ Dies waren, laut eigener Aussage, die Worte des Tourleiters. Er hat sie nicht aufgefordert. Wozu auch, wenn sie es von ganz alleine machen. Die Freude über die Begeisterung der Fans macht den Sänger sichtlich berührt und glücklich. „Taximan“ erweckt den Eindruck eines Contests – wer singt lauter? Der Sänger oder die Fans? Regentropfen laufen authentisch über die Leinwand, wie über eine verregnete Windschutzscheibe. Dieses Taxi ist allerdings eher ein gewaltiger Linienbus mit lauter ungenutzten Sitzplätzen. Der Song ist einer seiner ältesten und ist auf seinem ersten Album „Das erste Mal“ aus dem Jahr 1975 zu hören. 49 Jahre. So alt ist dieses Album bereits. „Das nächste Lied ist schon sehr alt. Die meisten Leute von euch waren noch gar nicht geboren.“
Ein Lied von dem Album „Sekt oder Selters“. Damit mag er durchaus recht haben. Immerhin erschien das Album bereits am 29.02.1980. „In meiner Bude flipp ich aus“, darf sich jeder denken, der heute Abend nicht dabei ist, es aber gerne gewesen wäre. Ich würde sagen – alle die in ihrer Bude geblieben sind, bekommen Selters und für alle die den Weg in die Lanxess Arena gefunden haben, wird Sekt serviert. „Es geht mir gut“. Wird sich jeder denken, der heute Abend nach dem Ende des Konzerts den Heimweg antritt. Aber bis dahin ist ja noch ausreichend Zeit, hat Marius doch gerade erst begonnen aufzutischen. Genau diese Lieder wollen die Fans hören! Und sind wir mal ehrlich – diese Songs sind doch solche, die jeder von uns mitsingen kann, egal ob Punk, HipHopper oder Blackmetaller. „Ich kann es euch nicht ersparen. Aber es kommt ein Song aus meinem letzten Album. Er heißt „Wahrheit“.“ Die Wahrheit ist: die Fans ergeben sich, setzen sich und hätten wohl lieber noch mehr Hits und ewig währende Dauerbrenner. „Einigen hat‘s gefallen! Ich hab‘s gesehen!“ Den eingeschworenen Westernhagen Fan sind natürlich auch die neusten Lieder geläufig und spendieren eine nette Resonanz auf die eher unbekannten Texte und Melodien. „Ich habe hier auf der Bühne einige großartige Musiker stehen. Es ist mir eine Ehre!“ Nach einer langen Vorstellungsrunde geht es mit RambaZamba, lauten Fans, Mundharmonika und ohne Sakko weiter. „Mit 18“….ich vermute jeder hat Erinnerungen an sein „mit 18“ denn so junges Publikum, dass es U18 sein könnte, konnte ich zumindest bisher nicht entdecken. Aktiv und für sein Alter gelenkig bewegt sich Westernhagen über die Bühne. Ich bin mir sicher – die Musik hält fit und der Wahnsinnige Support der Fans tut sein Übriges! „So. Jetzt kommt mal wieder runter. Jetzt kommt meine Frau.“ Das Paar setzt sich auf einen Barhocker, machen es sich gemütlich und auch die Akustikgitarre kommt ein weiteres Mal zum erklingen – nicht das Marius sie selten zur Hand nehmen würde. „Luft zum Atmen“, eine Ballade, bei der die Lanxess Arena auch in den Genuss der starken, großartigen Stimme von Lindiwe Suttle kommt.
Gemeinsam mit seiner Frau singt er dieses Lied über die Liebe, das durch das Duett eine ganz besondere Magie mit sich trägt. Was kann darauf anderes folgen als „Sexy“?! Der Jubel ist Ohrenbetäubend und Westernhagen verteilt fleißig Luftküsse Richtung Publikum. „Alles in den Wind“ ist das völlige Gegenteil von „Sexy“ und es wird wieder ruhiger. Die leuchtenden Farben und hellen Lichter sind von der Bühne verschwunden. Marius wird, auf der Treppe – die auf der Bühne steht und mit ein paar wenigen Stufen zu einer niedrigen Empore führt, auf der sich ein Teil der Band befindet – sitzend angeschienen, und singt andächtig die Worte seiner Lieder und steigert darauf die Geschwindigkeit allmählich wieder mit „Zeitgeist“. „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ und alle sind auf den Beinen. Die gesamten Klassiker werden wirklich lautstark und voller Begeisterung von den Fans bejubelt. Genau dafür sind sie hier. Und dafür feiern sie Marius Müller-Westernhagen. Das ist unverkennbar. „Habt ihr Spaß?! Habt ihr Spaß?!“ Was für eine Frage! Ja! Aber sowas von! „Ich habe euch vermisst! Danke!“ „Wieder hier“ bekräftigt seine Worte. Ich bin mir ziemlich sicher: auch seine Fans hat er auf eine Art lieb und in seinem Herzen. Die ersten Handylichter des Abends erhellen die Lanxessarena und auf der Leinwand erscheint unsere wunderschöne, wertvolle Erde. Das Lied läutet das letzte vor der ersten Zugabe ein. Mit silberflitternden Konfetti gleitet der rot angeleuchtete Vorhang wieder stilvoll herab und hinterlässt ratlose Fans. Schon zu Ende?! Laut rufen die Fans „oh wie ist das schön!“ und eine zarte Stadionstimmung keimt in mir auf. Ruhig geht es weiter. „Lass uns leben!“ So ein wunderbarer Songtitel. „Ja. Ich lebe!“ Das sollten wir alle tun. Leben. Dieses wunderbare Wunder leben. „Rosen“, „Schweigen ist feige“ und „Halt mich nochmal“ folgen, bevor zu einer weiteren Zugabe kommt.
Jeder der großartigen Musiker kommt nach vorne auf die Bühne und lässt sich mit Standing Ovations und lauten Jubel nochmal richtig feiern. Die ehrliche Freude steht Marius Müller-Westernhagen ins Gewicht geschrieben, als er fragt „Wollt ihr noch mehr?“ Natürlich wollen sie das! „Weil ich dich liebe“ schließt sich an und läutet die letzten drei Lieder ein. Alle Musiker nehmen Platz um dieses Lied zum Besten zu geben. Gefolgt von „Johnny Walker“, „mein bester Freund“. Das fühlt hier im Publikum so mancher ganz genauso. Das inbrünstige Mitsingen erweckt zumindest diesen Eindruck. Der aufmerksame Leser merkt, was noch fehlt. Aber nicht fehlen darf. „Ich spiele jetzt einen Song, den ich eigentlich nicht mehr spielen wollte. Aber die Zeiten sind sehr beschissen. Der Song hat eine ganz klare Wichtigkeit. Deswegen werde ich ihn heute noch einmal für euch singen.“ „Freiheit“ Ein emotionaler Abschluss für einen großartigen Abend. In Windeseile leert sich die riesige Arena und ich bin immer wieder erstaunt darüber, was für ein gutes Ausgangssystem in der Lanxessarena besteht. Ein kurzweiliger Abend voll guter und freudiger Energie geht zu Ende. Danke für dein Comeback, Marius. Es war mir eine Ehre
Review: Sarah Fleischer
Fotocredit: Olaf Heine
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