Gut 18 Jahren ist es her, dass sich Sido mit “Mein Block” ins kollektive Bewusstsein der deutschen Musikszene gerappt hat. Es folgte eine absolute Ausnahmekarriere in der Sido wirklich alles Mögliche und Unmögliche mitgenommen hat. Aber nach 20 Jahren “Sido” und ein paar persönlich schwierigen Jahren wurde es an der Zeit, sich wieder mit dem Mann hinter Sido zu beschäftigen – mit Paul. Die musikalische Aufarbeitung in Form seines neuen Albums “Paul” erscheint am 09.12.2022.
Bereits nach den ersten Worten vom “Intro” wird klar – dieses Album wird keine leichte Kost. Es ist eine Vorstellungsrunde einer Selbsthilfegruppe und sobald Sido/Paul an der Reihe ist, startet der erste Song “Atmen”. Dieser Song geht bereits unter die Haut und nimmt durch Textzeilen wie “Ich bin 41 Jahre und die Tage waren wie Atmen unter Wasser” gefangen. Auch der nächste Track “Versager” geht tief. Hier rechnet Sido mit seinem Erzeuger ab. Untermalt wird das ganze durch eine sehr eingängige Melodie. Im Song “Rollender Stein” rechnet er mit sich selbst als Vater ab. Der Song ist gleichermaßen Entschuldigung wie Liebeserklärung an seine Kinder. Es ist extrem ehrlich, geht unter die Haut und ist einer der stärksten Songs auf dem Album.
Bei “Gar nicht mal so glücklich” hat sich Sido Unterstützung von Estikay geholt. Inhaltlich geht es darum, dass dieses vermeintlich schöne, schillernde Leben gar nicht mal so glücklich macht. Weiter geht’s mit den Gästen: bei “Unten/Oben” ist Karen dabei. Stimmlich harmonieren Sido und Karen hervorragend. Der Sound klingt ein wenig experimentell. Karen unterstützt auch beim nächsten Song, ebenso wie Tarek von K.I.Z. Gemeinsam haben sie den Song “Zwischen den Wolken” aufgenommen, der ein Garant für Gänsehaut ist. “Es war ‘ne schwere Zeit, ich war nicht immer pflegeleicht” rappt Sido in “wenig königlich”. Begleitet werden diese wieder brutal ehrlichen Worte von einer mitreißenden Melodie.
Ein weiterer grandioser Song ist “3 Monde” – “Ich komm überall rein, nur nicht ins Reine” heißt es dort. Ein schmerzhafter Song über die Sucht. Der Song “Medizin” ist eine Zusammenarbeit mit Jamule und wurde im Vorfeld bereits als Single veröffentlicht. So richtig bin ich mit dem Song nicht warm geworden – textlich zwar top, aber der Rest ist nicht meins. Eine weitere Singleveröffentlichung ist “Sterne” (feat. Bozza). Der Song ist mutig. Dazu hat er eine Hook, die sich tief im Inneren festsetzt und bleibt.
“Irgendwo” fällt soundtechnisch aus dem Rahmen und präsentiert sich als Art “Dance Track”. Inhaltlich kratzt er im Vergleich zum restlichen Album eher an der Oberfläche. Es bleibt das Gefühl, dass da noch mehr möglich gewesen wäre. Bei “Liebst du Mich” und “Mit dir” wird es zum Abschluss liebevoll und auf eine Art und Weise hoffnungsvoll – egal wie tief man abstürzt, am Ende bleibt die Liebe.
„Paul“ ist ein intensives Album, das tief bewegt und Spuren hinterlässt. Vor knapp 20 Jahren hätte ich nicht gedacht, dass ich einmal bewegt von Sidos Musik sein könnte. Der Sound und die Texte waren mir damals zu „aggro“. Aus heutiger Sicht passt es zu dem Mann, der Sido damals war. Im Laufe der Jahre konnte man dabei zusehen wie er sich menschlich und musikalisch weiterentwickelt hat. Menschlich zwischendurch von den eigenen Dämonen heimgesucht wurde, aber immer offen zu seinen Fehlern stand. Das können die wenigsten Menschen. Mit „Paul“ hebt Sido seine Musik nun auf eine neue Ebene. Es ist mutig und ehrlich wie nie. Es tut weh und schenkt dennoch Hoffnung. Außerdem hat Sido es mit diesem Album geschafft der Welt ein Stück von dem Paul zu präsentieren, der seit 20 Jahren hinter der Maske verborgen war.
Tracklist
Intro
Atmen
Versager
Rollender Stein
Gar nicht mal so glücklich (feat. Estikay)
Unten/Oben (feat. Karen)
Zwischen den Wolken (feat. Karen & Tarek K.I.Z)
Wenig königlich
3 Monde
Medizin (feat. Jamule)
Sterne (feat. Bozza)
Irgendwo
Liebst du Mich
Mit dir
Fotocredit:Albumcover