Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Am 2. Juli startete der Nachschlag des Vainsteam Rockfestes 2022 in Münster. Nach dem äußerst heißen und erfolgreichen ersten Ritt, ging es als Corona-Entschädigung eine Woche später für eine zweite Runde in die Vollen. Der eine extra Tag sollte dem Hauptgeschehen musikalisch und wettertechnisch in nichts nachstehen. Eine Änderung ließ sich dennoch feststellen.
Zu Kaiserwetter starteten die Wildcard-Gewinner Hostage mit voller Power in das Weekend Two. Der heavy Mix des Quartetts kam bei der kleinen Crowd schon richtig gut an und gerade das Ende mit dem Cover von „Don’t let me down“ sicherte Sympathien. Deez Nuts als nächste haben ihren Job als Anheizer für einen großartigen Tag verstanden und spielten unter ihrem lachenden Smiley routiniert ihr Set ab. Kurze Wartezeiten zu Nasty im Folgenden, immerhin war man eigene Minuten vor dem Timetable, wurden kurzerhand mit Kniebeugen sportlich verkürzt. Bei knapp unter 30°C an diesem Tag war das wirklich eine Höchstleistung. Genauso hervorzuheben waren die Tanzübungen des Publikums, die sich mit jedem Act intensivierten. Sänger Matthi der Beatdown-Hardcore-Band animierte seine Gäste immer wieder noch näher an die Bühne zu kommen und alles zu geben. Das konnte er sich ebenfalls nicht nur von der Bühne aus anschauen, und holte mit seiner Präsenz am Bühnengraben noch einmal alles aus der Menge raus. Sehenswert ging es mit einer Judo-Rolle für ihn auf die Bühne zurück, während die Zuschauer*innen bereit waren alles abzureißen; schon beim dritten Act befanden wir uns irgendwo zwischen Moshpit und Schlägerei. Doch war es noch relativ leer, sodass man zu Touché Amoré entspannt vorne stehen konnte, wenn man wollte, um die Show anzuschauen, oder halt richtig abrocken. Man hatte quasi zu jeder Zeit die Qual der Wahl.
Durch das Konzept mit den beiden Zwillingsbühnen waren die Acts in knackigen bis zu 50 Minuten langen Slots verpackt, die ohne große Umbauphasen durchgefeiert wurden. Denn während Madsen mit ihren bekannten Songs die Menschen mit ungewöhnlich viel Melodie für diesen Tag begeisterten, konnten Turnstile nebenan schon mit dem Soundcheck durchstarten. Durch dieses Konzept gab es wenig Wartezeiten und es konnte Schlag auf Schlag durchgerockt werden. Die Masse pilgerte einfach von der einen Seite auf die andere, um dort weiter zu eskalieren, was auch fantastisch ausgenutzt wurde. Bei Madsen ging es noch etwas ums Tanzen, wobei der Großteil des Publikums schon in Bewegung war, und das Crowdsurfen immer mehr in Gange kam. Selbiges wurde auch bei dem nachfolgenden Act Turnstile in häufiger Ausführung zelebriert. Als nächstes legten Fever333 noch einiges an Lautstärke obendrauf und fackelten die Menge ab. Wer eine Pause vom wilden Geschehen brauchte, konnte sich übrigens im Beach-Bereich auf weißem Sand und Liegestühlen entspannen oder für einen Perspektivwechsel auf die Indoor-Bühne gehen. Zurück im Gewühl der Mainstages waren die körperlichen Auseinandersetzungen auf einem Hochpunkt angelangt, an dessen Zenit Sänger Jason Butler halt einfach von der oberen, vorderen Front des Getränkestandes in die Menge sprang. Es sind eben die ganz normalen Dingen an einem Festival-Samstagnachmittag in Münster. Stick To Your Guns kamen im Folgenden ohne solch einen Aufregermoment aus und überzeugten einfach mit ihrem souveränen Sound, der die Leute nicht eine Sekunde lang stillstehen ließ.
Nächster Halt im Hardcore-Express, der seine Besucher*innen hier förmlich überrollte war etwas genreuntypisch Alligatoah, der ein bisschen mehr Gepäck dabei hatte. Original-Zitat eines Zuschauers neben mir: „Er hat eine Bühne auf der Bühne und zerkloppt eine Gitarre“, und Leute, besser könnten wir es nicht beschreiben. Die Demontage seiner eigenes mitgebrachten Mini-Bühne bestimmte seine Show, von der wir uns ein kleines bisschen mehr Metal in dem Setting erhofft hatten. Schließlich bewies er durch wiederholte Wacken-Auftritte, dass der 32-jährige Rapper diese Seite des Repertoires auch bedienen könnte. Dann lieber weiter zum Co-Headliner Bullet For My Valentine, bei dem endlich die erste Seite der Bühne in Schatten getaucht wurde. Wer es bis hier ohne Sonnenbrand und Dehydration geschafft hat, der konnte sich jetzt über das erste Set mit Feuer-Effekten freuen. Bullet For My Valentine ihrerseits ließen sich nicht zwei Mal bitten und lieferten gemäß den Erwartungen ordentlich ab. Damit blieb nur noch der letzte Gang hinüber zu den Broilers, die den Abend mit jeder Menge Leidenschaft beendeten. Jedes Mal, wenn man diese Gruppe live sieht, merkt man einfach sofort, dass es sowohl bei Band als auch bei den Fans wirklich eine Herzensangelegenheit ist. Somit erstrahlte auch jedes Gesicht überaus happy als endlich die gefeierten Lieder wie etwa „Tanzt du noch einmal mit mir“ oder „Meine Sache“ gespielt wurden, und man gemeinsam gesprungen ist, um den Abend überaus positiv ausklingen zu lassen.
Schön, dass wir jetzt den Tag gemeinsam erlebt haben, aber was ist nun diese eine Sache, die sich wesentlich vom ersten Wochenende abhob? Es war nicht so überfüllt wie sonst. Normalerweise galt es schon darum sich bei den Bands am Vormittag sich Plätze im zweiten Wellenbrecher regelrecht zu erkämpfen. Aber an diesem Samstag war alles easy und man kam bis zur Hälfte der Zeit easy direkt vor die Bühne, wenn man wollte. Zudem galt in Münster sowieso schon immer, wer bis 13 Uhr nicht da war, kam auch nicht mehr. Sobald die Performances, wie bei Madsen, in voller Fahrt und die Leute in Bewegung waren, war es immer noch sehr gut möglich sich eine bessere Sicht zu verschaffen. Auch bei den letzten drei Vorstellungen, Alligatoah, Bullet For My Valentine und den Broilers, war seitliches Stehen überhaupt kein Thema und man hatte erstaunlich viel Platz. Und das ist wirklich als riesengroßer Unterschied herauszuarbeiten: man konnte sich beinahe jederzeit entspannt von der einen Seite zur anderen bewegen und war nicht einer Menschenflut ausgesetzt, wie es sonst auf dem Vainstream üblich war. Somit brachte der Zuschlag einen schönen, sonnigen Festivaltag hervor, der sehr viel entspannter war, als wir annahmen.
Fotocredit: Kevin Randy Emmers