Wenn es in diesem Jahr Konzerte gab, auf die man gewartet hat, dann waren es diese. Nachdem die europaweite Stadiontournee verschoben werden musste, war es am 14. und 15. Juni endlich so weit, und der Hamburger Volkspark stand in Flammen. In Verbindung mit brachialer Musik und einer fulminanten Show für alle Sinne konnte dies nur eins bedeuten: Rammstein waren in der Hansestadt, um sie nach allen Regeln der Kunst zu rocken, dass ihr Hören und Sehen verging.
Normalerweise schreiben wir unser Fazit immer gerne am Ende der Review, aber in diesem Fall ist dies kaum möglich, denn man kann einfach nur attestieren was das für eine unfassbare Show der Berliner Band war. Wegschauen war kaum möglich; aber nicht auf diese unangenehme Unfall-Weise, sondern einfach, weil es so fesselnd war, was Lindemann und Konsorten auf der Bühne trieben. Und trieben ist in dieser Hinsicht auch der richtige Ausdruck: Neben dem frivolen Frontmann, der immer wieder mit eindeutigen Gesten und Mimiken mit dem weiblichen Teil des Publikums flirtete, gab es so viel Kurioses und Aufsehenerregendes zu bestaunen, dass es durchaus schwierig war alle Raffinessen des Mega-Spektakels aufzunehmen.
Dieses begann um kurz nach halb neun unter einem wolkenlosen blauen Himmel, der es der Sonne ermöglichte, ihre letzten abendlichen Strahlen durch das offene Stadiondach zu schicken; perfekte Bedingungen. Per Lautsprecher wurde gebeten die Handys beiseitezulegen und die Show mit Rammstein zu genießen. Beim anschließenden Hissen der mit dem Rammstein-Logo gezierten Flagge zu Georg Friedrich Händels „Music for the Royal Fireworks“ schienen dies die ersten aber schon wieder vergessen zu haben. Als wollte Rammstein provozieren, dass diesen Leuten vor Schreck im nächsten Schritt das Smartphone aus der Hand fiel, gab es einen extra lauten Knall. Damit dürfte auch den letzten Menschen im Publikum klar sein, dass Rammstein es verdammt ernst nehmen ihrem Ruf für exzellente Pyrotechnik in den nächsten zweieinhalb Stunden gerecht zu werden. Nicht umsonst reist man mit eigens angefertigter Bühne und vier Feuerstehlen im Gepäck umher, also Feuer frei! Da die Setlist soweit schon bekannt war, konnte man das Hauptaugenmerk ganz auf die Show legen. Nur so viel zur Liederauswahl: Es ist immer schwierig die richtigen Anteile von neu und alt zu finden, aber mit den beiden Einstiegssongs „Armee der Tristen“ und „Zick Zack“ sowie dem etwas später auftauchenden „Zeit“ und dem letzten Song „Adieu“ setzten Rammstein ihrer eigenen „Rocky Horror Picture Show“ einen geeigneten Rahmen. Zudem schafften sie es mit diesen vier Liedern das Gefühl, welches ihre letzte Veröffentlichung „Zeit“ hervorrief, ins Stadion zu transportieren.
Im Gegensatz zu dieser lyrischen Melancholie stqnd wie beschrieben die heiße Show, die vor Special.Effects nur so strotzte. So band sich Lindemann zum Beispiel zu „Mein Herz brennt“ wirkungsvoll einen Bengalo vor die Brust, feuerte immer wieder mit einer Art Armbrust Feuerwerk über die Menge oder flambierte seinen Bandkollegen in einem übergroßen Kochtopf. Und dies sind nur einige Beispiele. Immer wieder setzte sich der 59-jährige stark in Szene und fesselte die Blicke des Publikums an seiner Person. Damit wirkte er wie eine Art Dirigent, der die Performance der Extraklasse choreografierte. Wenn eins mit jeder Minute klarer wird, denn das Rammstein absolute Meister der Inszenierung sind. Neben den eindrücklichen visuellen Impressionen, lieferte die Gruppe ebenso inhaltlichen Input. So wurden sie nach „Engel“, welches auf der B-Stage von einem Lichtermeer und Piano-Spiel begleitet wurde, im nächsten Schritt in Schlauchbooten über das Publikum zurückgetragen. Dort angekommen wurde ein „Willkommen“-Schild hochgehalten, dass auf er zweiten Seite den Nachsatz „in der Dunkelheit“ offenbarte und dazu die ersten Klänge von „Ausländer“ ertönten – ganz großes musikalisches Kino!
Neben diesen zu erwartenden, aber nicht minder imposanten Eindrücken, präsentierte Rammstein auch modernere Ansätze, wie etwa der „Deutschland“-Remix von Richard Kruspe. Zu diesem wurde er samt DJ-Pult den Fahnenmast hinaufgezogen und gab aus luftiger Höhe in weißer Federjacke den Discjockey, während die Übrigen in Anzügen mit Leuchtstreifen auf der Bühne tanzten. Das Ende der ersten Spielzeit wurde aber wieder standesgemäß mit ordentlichen Flammenschüben nach anderthalb Stunden zu „Sonne“ zelebriert. Danach verließen sie erstmals die Bühne und wir schauten zum ersten Mal überhaupt auf die Uhr. In der kurzen Zeit, die die Musiker zur B-Stage brauchten, machten vor allem die Ränge ordentlich Stimmung. Immer wieder gab es somit Momente in denen man das ausverkaufte Stadion, teilweise sogar mit akustischer Verzögerung, hören konnte. Schon bei der Anreise fiel auf, wie vielfältig das Publikum war und die Präsenz der Band von jung bis alt polarisierte. Klassiker wie „Pussy“, „Rammstein“ oder „Ich will“ rundeten auf zwei Encores aufgeteilt einen fantastischen, intensiven und in Erinnerung bleibenden Abend ab. Rammstein haben die Erwartungen mit ihrer komplett krassen Show mehr als erfüllt und Hamburg zwei Tage lang in Flammen gelegt.
Fotocredit: Benjamin Ebrecht