Matthias Paul alias Paul Van Dyk zählt zu den erfolgreichsten DJs der Welt. Die Karriere des in Ost-Berlin aufgewachsenen Künstlers begann vor über 30 Jahren und ist noch lange nicht zu Ende. Während dieser Zeit konnte sich der 49-jährige bereits zwei Mal über Platz eins der 100 besten DJs weltweit freuen. Unsere Redakteure Kevin und Jacky hatten die Ehre mit dem Ausnahmetalent ein Interview zu führen und über die aktuelle Situation zu sprechen. Was wir dabei in Erfahrung bringen konnten beziehungsweise wie er die Krise erlebt, erfahrt ihr hier.
Frontstage Magazine: Hallo Paul, wie geht es Ihnen in Zeiten wie diesen?
Paul Van Dyk: Hallo 🙂 Ich bin grundsätzlich ein positiver Mensch insofern geht es mir trotz der Umstände gut. Mir ist aber bewusst wie viele Leute unter den Maßnahmen der Regierung sehr leiden und sehe auch die Gesellschaftlichen Verwerfungen und diese machen mir sorgen.
Frontstage Magazine: Das stimmt, immerhin befinden wir uns bereits im Jahr zwei der Pandemie. Die Veranstaltungsbranche liegt zwar weitestgehend immer noch ziemlich brach, aber es zeigen sich vereinzelte Lichtblicke durch besondere Konzepte. Wie fühlt es sich an wieder weltweit Konzerte geben zu können? Macht man einfach so weiter wie 2019 oder hat sich das eigene Empfinden ebenfalls verändert
Paul Van Dyk: Es ist ein unglaubliches Gefühl wieder mit Menschen frei interagieren zu können. Natürlich sind die letzten Monate nicht spurlos an mir als Künstler vorbeigegangen, deshalb ist das eine Mischung von zurück wie vorher und weiter so, aber auch eine andere vielleicht sogar intensivere Dynamik.
Frontstage Magazine: Inwiefern passen Extrembeispiele wie das Exit Festival in Serbien in diese neuen Überlegungen der gegenwärtigen Lage. Eine Studie, die vor Ort durchgeführt worden ist, besagt, dass das Festival nicht als Infektionsherd galt. Wie hat sich genau angefühlt vor so vielen Menschen wieder spielen zu können? Hatte man dort ein komisches Gefühl oder waren die Glückshormone einfach so überwältigend?
Paul Van Dyk: Ich würde das „Exit Festival“ nicht als extrem Beispiel darstellen. Es ist der einzige richtige Weg mit der Problematik Pro Aktiv umzugehen. Die Alternative wäre doch alles soziale Leben einzustellen. Keiner will Kopflos das wohl von Mitmenschen riskieren deshalb müssen wir mit Sicherheits/Hygiene-Konzepten ein miteinander wieder ermöglichen und ein Leben mit Corona akzeptieren. Wir werden nicht alle vor einer infektion schützen können aber es geht auch eher darum, Erkrankung oder schlimmeres zu verhindern.
Frontstage Magazine: Das ist mal ein Wort! Die Shows, die Sie momentan in Hamburg, Bonn, UK oder Dubai spielen sind allesamt sehr unterschiedlich sind. Ist es merkwürdig für Sie in UK eine klassische Show wie vor der Pandemie spielen zu können, während das Hamburger Publikum fünf Tage später ganzheitlich sitzen muss?
Paul Van Dyk: Es zeigt nur, dass unterschiedliche Ansätze existieren. Ich muss aber auch sagen das ich das Gefühl habe, das sich viele der immer noch aktiven Maßnahmen in Deutschland nicht am Pandemiegeschehen orientieren sondern eine politische Dimension beinhalten. Das permanente herbeischreien von dystopischen Abläufen wird der Situation nicht gerecht und da sollten sich Politiker*innen wie Journalisten ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung bewusster werden und entsprechend agieren. Spahn sagte: „Wir werden vieles entschuldigen müssen“, das stimmt sicherlich, aber einige haben das Rad derart überdreht, das dass für mich nicht mehr zu entschuldigen ist. Ich hoffe nur das nach der politischen Sackgasse in der wir uns noch bis zur Bundestagswahl befinden werden, positive und kreative Ansätze wieder in den Vordergrund treten und die Dystopen aus den Talkshows und Schlagzeilen verschwinden.
Frontstage Magazine: Das bleibt wirklich zu hoffen und abzuwarten. Durch die Hygienekonzepte werden aber nicht nur Konzerte an sich wieder ermöglicht, sondern es wird auch eine ganz neue Nähe zu den Zuschauer*innen geschaffen. In Deutschland ist es durch die Bestuhlung sowie den früheren Showzeiten möglich den Menschen ins Gesicht zu schauen und die direkte Reaktion auf die Musik nachzuvollziehen. Was geht dabei in Ihnen vor?
Paul Van Dyk: Also ich kann für meine Shows sagen, dass ich dankbar bin für Konzepte die zumindest ein limitiertes Miteinander ermöglichen, aber ich empfinde eine Bestuhlung bei einer Tanzveranstaltung eher kontraproduktiv und nähe entsteht beim abstandhalten auch nicht. Grade bei mir findet ja das Zusammengefühl über die Dynamik der Musik statt und das ist sitzend nicht ganz so einfach. Insofern ist es eine große Herausforderung.
Frontstage Magazine: Verständlich. Sie haben nach Beginn der Pandemie mit den Paul Van Dyk’s Sunday Sessions begonnen. Bis heute gibt es weit über 50 dieser Sitzungen. Warum haben Sie damit angefangen? Fungierten diese Sessions für Sie als Ausgleich, um mit der aktuellen Situation umgehen zu können?
Paul van Dyk : Wir haben mit der Sunday Session begonnen weil wir gesehen haben das, wenn auch nur digital, es den Leuten einen gewissen halt gibt. Leute aus New York haben sich mit Berlinern ausgetauscht, Italiener mit Spaniern und es entstand eine großes globales miteinander. Als Ausgleich für mich taugt das eher weniger, den der direkte Kontakt zum Publikum kann durch nichts ersetzt werden.
Frontstage Magazine: Da das Touren in den Jahren 2020/21 zudem so gut wie unmöglich war, wurde viel Zeit für andere Dinge verfügbar. Welche Vorteile konnten Sie aus diesem Umstand ziehen? Gab es vielleicht mehr Zeit für die Familie oder neue Hobbys?
Paul Van Dyk: Ich denke die Frage vergisst eine ganz maßgebliche Komponente, die Angst um die Zukunft. Ich bin für meine Familie genauso verantwortlich wie für meine Mitarbeiter. Wenn sie fast zwei Jahre lang kein einkommen generieren und nur von dem bereits erarbeiteten Leben und das alles ohne konkrete Idee wann es wieder weiter geht, dann gelinde gesagt, zermürbt das. ich konnte nicht wirklich die innere Ruhe finden mich auf anderes zu konzentrieren als die Gedankenspiele wie es weiter gehen könnte. glücklicherweise habe ich ein tolles Team und mich und wir haben das bis jetzt halbwegs vernünftig durchgestanden.
Frontstage Magazine: Gab es außerdem vielleicht eine Erkenntnis, die Sie durch diese besondere Zeit über sich selbst oder ihre Umwelt erlangen konnten, die Ihnen sonst verwehrt geblieben wäre?
Paul Van Dyk: Ich hätte nicht gedacht, dass unser Gesellschaftliches Gefüge so fragil ist. Leider muss man beobachten, dass Empathie offensichtlich nicht zum Wesensmerkmal unserer deutschen Demokratie gehört. Das wird eine große Nachpandemische Aufgabe das wieder zu kitten aber ich habe viele tolle Leute kennengelernt die mir die Hoffnung geben, das wird das wieder hinkriegen.
Frontstage Magazine: Dem haben wir nichts mehr hinzuzufügen. Unsere letzte Frage fällt immer etwas aus der Reihe: Wann haben Sie Ihren letzten Liebesbrief geschrieben und zu welchem Anlass?
Paul van Dyk: Ich sage meiner Frau mehrmals am Tag wie viele sie mir bedeutet.
Fotocredit: Christoph Köstlin