Lockdown Tag 97: Die kulturelle Branche ruht seit November mittlerweile nun fast 100 Tagen und ein normales Konzertgeschehen ist nach wie vor in weite Ferne gerückt. Was macht man also, wenn Milliarden heißt und sein neues Album „Schuldig“ vorstellen und gebührend feiern möchte? Richtig, it’s time for a Record Release Concert Stream! Dafür hat sich das Berliner Duo mit dem Bremer Clubkombinat Club100 zusammengeschlossen, die am Freitagabend das Konzert live aus Bremen in digitaler Form in die Wohnzimmer der Republik übertrugen.
Milliarden haben sich als Liveband etabliert und sind von den Bühnen des Landes nicht mehr wegzudenken. Für uns war dementsprechend besonders spannend, wie sie dieser Rolle in einem digitalen Format gerecht werden. Dabei haben sie es anders umgesetzt als wir erwarteten. Wer mit einer einzigen Party rechnete, hat sich vertan. Milliarden haben etwas sehr viel Persönlicheres kreiert und ihren Fans damit eine sehr intime Perspektive auf die Rockband geschenkt. Dies schaffen sie vor allem durch Wechsel der Spielorte. So saßen sie nach den ersten drei Songs mit Akustikgitarre backstage am Piano und haben zusammen aus dem neuen Album „Himmelblick“ und das ältere „Oh Chérie“ performt, was einfach nur schön war. Später sahen wir die Beiden noch einmal in einer Art Abstellraum, in dem sie nur mit Gitarre und Mikrofon standen. Da war qualitativ sicher nicht alles perfekt, aber trotzdem fühlte man direkt etwas und das über die gesamte Showlänge von 90 Minuten, was immerhin der längste Livestream war, dem wir bisher beiwohnen durften. Wenn man am Anfang bei „Rosemarie“ noch so etwas wie Mitleid hatte, dass man diese grandiose Liveband nicht auf das Publikum loslassen durfte, ist es spätestens bei diesen noch privateren Settings verraucht. Denn Ben und Jojo füllten den ihnen zur Verfügung stehenden Raum einfach mit so viel Charisma, Energie und Liebe, dass es mehr wirklich nicht brauchte.
Wenn man die Jungs fleißig auf den sozialen Medien verfolgt, hat man in der letzten Zeit dort bereits eine Live-„Sendung“ aus ihrem Proberaum sehen können, wo sie eigentlich Fanboxen unterschreiben sollten, aber anstelle lieber mit Fans interagiert und gejammt haben. Genau diese Leichtigkeit des Jammens kam auch in dem Live-Stream zum Tragen. Es ist wundervoll zu sehen, wie partnerschaftlich die Zwei interagieren, aber wie auch das Publikum immer subtil mitgenommen wurde. Vor allem in Momenten, wenn Ben sagte: „Ich spür‘ die Leute schon“ ist die Welt einen Moment lang etwas besser. Wir haben dich auch gespürt, Ben, vor allem durch die 18 wundervollen Songs, die ihr gespielt habt. Dabei wurde das neue Album nahezu komplett vorgestellt, was sich nahtlos an Klassiker wie „Kokain und Himbeereis“ oder „Betrüger“ anfügen konnte und insgesamt ein tolles Set bildete, was, zumindest für uns, nur Lieblingslieder enthielt. Zwischendurch wurde es auch noch einmal rockiger und das Albumcover wird mit rotem Licht und einem davor singenden Ben schön in Szene gesetzt. Unmittelbar davor und danach lief er durch den leeren Bremer Club, was auch bezeichnend für die Band ist. Sie machen es, so wie sie wollen. Dazu zählt ebenso die Bewegung weg vom Major Label hin zum eigenen, wie uns auch Jojo vor Kurzem im Zoom-Interview erzählte.
Aber egal, was die beiden anfangen, man kann sich sicher sein, dass ihre Projekte mit unfassbar viel Gefühl, Sehnsucht und vor allem Herz angefasst werden. Damit bleiben Milliarden selbst, wie auch ihr Release-Konzert, unglaublich authentisch und echt, dass es einfach nur eine wahre Freude war, ihnen beim Musik machen zuschauen zu, und dabei merken durfte, wie viel Spaß die Band trotz schwieriger Zeiten hatte. Schön!
Fotocredit: Christoph Voy