Gerade sind wir wohl alle „festgefahren im eigenen Wahnsinn“. Die Band Sperling spricht genau dieses Gefühl mit ihrem Debütalbum „Zweifel“ aus und macht damit Tabu-Themen wie Depressionen und Einsamkeit real. Am 22.01.2021 erscheint die Platte, die sich musikalisch irgendwo zwischen Casper, Fjørt und Heisskalt bewegt. Wie es zu dieser Genre-Kombination gekommen ist und wie die Musiker mit ihren Texten ihren eigenen Zugang zu den genannten Themen entwerfen, erzählt Jojo, Texter und Rapper der Band, unseren Redakteuren Kevin und Jacky im Interview. Außerdem wird verraten, wieso ihr euch die Single-Auskopplung „Mond“ keinesfalls entgehen lassen solltet.
Frontstage Magazine: Hallo ihr Lieben, wie geht es euch? Seid ihr gut durch die Feiertage und ins neue Jahr gekommen?
Jojo: Ja, das sind wir! Auch wenn es in diesem Jahr natürlich wesentlich ruhiger abgelaufen ist als die Jahre davor und es ein bisschen schade ist, dass jeder für sich feiern musste. Es ist eigentlich schon Tradition, dass wir als Band zusammen mit unseren Freunden Silvester feiern – das ist dieses Jahr natürlich ausgefallen. Für uns war es aber auch ein ereignisreiches Jahr 2020 mit einigen Höhen und Tiefen, in dem wahnsinnig viel passiert ist. Deshalb ist es auch nicht so schlimm, das neue Jahr etwas ruhiger anzufangen als gewöhnlich.
Frontstage Magazine: Verständlich. Bald feiert ihr das Release eurer Debüt-Platte. Wie hoch ist eure Aufregung? Was geht euch dazu durch den Kopf?
Jojo: Ich würde sagen, dass wir ziemlich aufgeregt sind! Ein Album zu veröffentlichen ist auf jeden Fall nochmal was anderes als nur eine Single oder eine EP, aber wir freuen uns auch voll darauf! Durch Corona und auch andere Sachen hat sich unser Release ja fast ein ganzes Jahr nach hinten verschoben. Deshalb sind wir jetzt einfach froh das Album endlich zeigen zu dürfen. Es steckt einfach eine ganze Menge Arbeit, Zeit und Liebe in dieser Platte und deshalb sind wir natürlich sehr gespannt wie die Reaktionen auf die Songs sind. Wir sind seit den letzten EPs nochmal ein ganzes Stück reifer geworden und auch unser Sound macht das, was wir vorher gemacht haben nochmal eine ganze Ecke extremer. Wir hoffen in erster Linie der Vorfreude derer, die schon lange an unserer Seite sind, gerecht zu werden, als auch neue Leute zu begeistern, die uns bis dahin noch nicht kannten.
Frontstage Magazine Wir freuen uns mit euch drauf. In den Ankündigungen zu eurem Album liest man immer wieder als Beschreibung eurer Musik eine Mischung aus Fjørt, Heisskalt und Casper untermalt mit Cello-Melodien. Wir können uns diesem Urteil zweifelsfrei anschließen, vor allem, da die Künstler schon für sich genommen überragend sind. Was macht es mit euch in den gleichen Pool dieser Acts geworfen zu werden?
Jojo: Das ist vollkommen okay für uns! Alle drei machen sehr geile Musik und auch wenn wir nie gesagt haben: „wir würden gerne klingen wie…“, wäre es gelogen zu sagen, dass uns keiner von ihnen auf gewisse Weise inspiriert hat. Deshalb haben wir mit den Vergleichen gar kein Problem. Eigentlich im Gegenteil: Es freut uns mit Bands und Künstlern verglichen zu werden die wir selber feiern. Außerdem macht es das für Leute die uns noch nicht lange oder überhaupt nicht kennen einfacher uns einzuordnen.
Frontstage Magazine: Somit bewegt ihr euch auch genretechnisch zwischen Post-Hardcore, Indie und Rap. Teilen alle Bandmitglieder die Freude für diese Genres oder bringt jeder Beteiligter seinen eigenen Einfluss unter?
Jojo: Also, wenn wir zusammen Musik hören gibt es eigentlich keinen Streit, da wir – bis auf ein paar Ausnahmen – einen ziemlich gleichen Musikgeschmack teilen oder zumindest die Musikeinflüsse der anderen auch feiern. Trotzdem bringen wir alle auch einen extrem unterschiedlichen Schwerpunkt mit. Max und ich zum Beispiel kommen eher aus dem Rap, Josh und Malte bringen eher Indie- und Post-Hardcore-Einflüsse mit und Luca fühlt sich auch im klassischen Bereich und im Jazz und Blues sehr wohl. Das sorgt aber auch dafür, dass jemand wie ich, der fast ausschließlich Rap hört, auch neue Sachen kennenlernt auf die ich vorher nie gestoßen wäre.
Frontstage Magazine: Die Songs eures Debüts handeln in erster Linie vom Alleinsein, Depressionen und den Umgang mit Ängsten und Zweifeln. Wie wichtig ist es euch darüber zu sprechen beziehungsweise benutzt ihr wissentlich das Medium Musik, um die genannten Themen der Öffentlichkeit zugänglicher zu machen?
Jojo: Uns sind diese Themen sehr wichtig, weil sie für uns persönlich eine große Rolle spielen. Wir sind alle zusammen sehr große Zweifler würde ich sagen. Zweifel an uns selbst, der Gesellschaft und den eigenen Entscheidungen. Zudem sind Zustände wie Ängste und Depressionen, trotz Aufklärung, immer noch große und vor allem tabuisierte Themen, welche aber täglich mehr Leute betreffen. Ich finde gerade dann ist es wichtig zu zeigen, dass es Menschen gibt denen es genauso geht und die die gleichen Probleme damit haben. Mir hat das in der Musik immer sehr geholfen wenn ein Künstler es geschafft hat genau das zu beschreiben was gerade in meinem Kopf vorgeht. Es hat mir geholfen das Chaos zu verstehen und ein bisschen zu ordnen – und das versuche ich jetzt selbst in meinen Texten zu machen. Wenn es jemanden gibt, der unsere Musik hört und sich verstanden und dadurch weniger alleine fühlt, haben wir das erreicht was wir wollten.
Frontstage Magazine: Uns nimmst du auf jeden Fall mit. Was tut ihr als Band und als Einzelperson für eure „mental health“? Könnt ihr euch vorstellen an Aktionen ähnlich der von Flash Forward im letzten Monat teilzunehmen?
Jojo: Normalerweise machen wir das was gerade leider nicht möglich ist: nämlich sich zu treffen. Wir merken immer wieder an uns selbst wie gut es einem tut sich mit anderen Menschen zu treffen und zu sprechen. Auf der einen Seite, weil man dadurch rauskommt und sich gut ablenken kann, auf der anderen Seite, weil das Wichtigste ist seine Probleme und Sorgen nicht für sich zu behalten sondern mit anderen zu teilen. Alleine das Aussprechen von den inneren Dämonen kann schon dafür sorgen, dass sie uns weniger Angst machen. Es hilft einem beim Sortieren der Gedanken und meistens werden Probleme alleine dadurch kleiner, dass sie laut ausgesprochen und mitgeteilt werden. Gerade ist es natürlich schwierig. Aber umso besser, dass es viele Möglichkeiten zur Fernkommunikation, wie Telefonieren oder Skype gibt. Wir verarbeiten natürlich auch sehr viel über Musik. Genauso kann aber auch ein anderes Hobby oder eine kreative Arbeit dabei helfen, auf andere Gedanken zu kommen oder sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Eine Aktion wie die von Flash Forward finden wir mega cool und wichtig! Wir können uns sehr gut vorstellen immer wieder solche Aktionen zu unterstützen, z.B. unterstützen wir auch die Essener Kampagne „Rocken hilft“.
Frontstage Magazine: Welcher Song der Scheibe ist euch beim Schreiben am schwersten gefallen? Und wieso?
Jojo: Ich würde sagen, das war ironischerweise der Song „Zweifel“. Den hatten wir nämlich schon sehr lange auf der Liste, noch bevor das Album geplant war. Grund dafür war das schwierige Arrangement, das wir immer wieder umgeschrieben haben. Es gab viele verschiedene Versionen, sogar mit ganz anderem Instrumental und anderer Textzusammensetzung, aber wir waren nie wirklich zufrieden damit. Wir haben den Song alleine, aber auch mit verschiedenen Produzenten immer wieder umgeschrieben bis wir ihn quasi schon aufgegeben hatten. Mehr durch Zufall haben wir dann den Song nochmal Beray Habip, unserem heißgeliebten Produzenten der Platte, gezeigt und mit seinen Ratschlägen so umgestellt, dass er jetzt einer unserer Lieblingssongs geworden ist. Das Geheimnis war im Endeffekt nur, dass wir viele Sachen weggelassen und vereinfacht haben, statt neue Elemente dazuzuschreiben. Da hat Beray uns generell die Augen geöffnet.
Frontstage Magazine: Gibt es andererseits einen Track, von dem ihr am meisten überzeugt seid, einen persönlichen Hit sozusagen?
Jojo: Ich glaube da hat jeder von uns seine ganz eigene Top 3. Mein persönlicher Liebling ist der Song „Mond“. Das liegt zum einen daran, dass mir gefällt, dass das Instrumental so minimalistisch und ruhig ist. Es passiert in dem Song eigentlich nicht besonders viel und genau das macht ihn für mich so besonders. Auf der anderen Seite ist der Text für den Song der persönlichste bisher. Er beschreibt die Phase nach einer Trennung und den Umgang damit mit dem Blick darauf, was schief gelaufen ist. Ich bin glaube ich generell eher ein Fan von ruhigen, traurigen Songs, weil ich diese in der Regel stärker finde als fröhliche Lieder. Und in „Mond“ steckt einfach sehr viel Traurigkeit – vielleicht gefällt mir der Song deshalb so gut. Ein anderer Song, der immer wieder bei unseren Favoriten ist, ist der Song „Toter Winkel“. Auch dieser ist vom Aufbau her eher simpel und hat auch einen persönlichen, eher melancholischen Inhalt, der mir sehr wichtig ist.
Frontstage Magazine: „Mond“ ist auch unser Favorit. Gibt es in eurem Debüteinstand einen inhaltlichen Unterschied zu früheren Songs von euch, die weit vorher entstanden sind, zum Beispiel „Über Regen“ aus 2017? Merkt ihr selbst einen Wandel innerhalb eurer Musik? Ist sie reifer geworden?
Jojo: Es gab auf jeden Fall einen großen Wandel. Wir haben sehr viel Zeit und Mühe in unseren Sound investiert, haben Sachen ausprobiert und uns intensiv mit ihm und unseren Vorstellungen davon auseinandergesetzt. Ich würde sagen, dass unser Sound reifer und erwachsener geworden ist. Gerade was Arrangements und Sounds angeht haben wir unsere Art Songs zu schreiben seit der letzten EP nochmal auf ein anderes Level gebracht – hier haben wir natürlich auch sehr viel mit Beray experimentiert. Auch die Themen und Texte an sich sind reifer geworden – weil man über die Zeit natürlich auch einfach besser wird, wie in allem was man tut. Im Nachhinein betrachtet habe ich oft das Gefühl, dass frühere Texte oft um das eigentliche Thema herumerzählt haben und somit für mich wichtige Themen oft einfach nicht richtig angekommen sind. Der Text von „Freakshow“ ist ein gutes Beispiel dafür. Heute spreche ich zwar immer noch gerne in Bildern und Metaphern, das Ganze ist aber wesentlich besser und genauer auf den Punkt gebracht als das früher der Fall war.
Frontstage Magazine: Unsere letzte Frage soll möglichst noch einmal eine neue Perspektive eröffnen: Casper, Heisskalt und Fjørt klopfen bei euch an und möchten je einen gemeinsamen Song mit euch aufnehmen? Alle zur selben Zeit, also wird es nur mit einem Act klappen. Auf wen würde eure Wahl fallen und warum?
Jojo: Tatsächlich eine schwierige Frage. Vor allem, weil wir hier als Band, glaube ich, unterschiedlicher Meinung wären. Deshalb spreche ich jetzt einfach mal für mich und sage Casper. Ist natürlich auch bisschen die einfache Wahl, weil es der bekannteste – und ebenfalls Rapper – ist. Ich glaube aber einfach, dass ich mit ihm wahrscheinlich am ehesten auf einer Wellenlänge wäre, zumindest was das Musikalische angeht, weil wir eben beide aus dem gleichen Genre kommen. Auf der anderen Seite wäre es natürlich auch mega interessant mal einen ganz anderen Ansatz zu sehen und mit einer Band zu arbeiten. Das hat ja auch den Vorteil, dass jeder bei der anderen Gruppe ein Gegenüber hat mit dem er sich austauschen könnte. Von daher wäre alles interessant und wir hätten Bock auf alle 3!
Frontstage Magazine: Wer weiß, was noch geschehen wird (augenzwinkern). Wir danken Euch für Eure Zeit und wünschen Euch alles Gute für Euch und das Release!
Fotocredit: Uncle M